Süddeutsche Zeitung

Sozialstaat: Reform:Hartz IV und kein Ende

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Regierung und Opposition zanken sich weiter über die Hartz-IV-Reform. Noch gibt es viele Differenzen - von der Höhe des Regelsatzes über die weißen Waren bis zu den Mindestlöhnen. Ein Überblick über die Streitfragen.

Thomas Öchsner

Bei der Hartz-IV-Reform geht es um ein Sammelsurium von Themen: Seit mehreren Wochen sprechen Regierung und Opposition über einen Mindestlohn für Leiharbeiter genauso wie über das geplante Bildungspaket für arme Kinder bis hin zu der Frage, ob Langzeitarbeitslosen Kühlschränke oder andere "weiße Waren" gesondert zu erstatten sind. Doch bislang blieben die Verhandlungen ohne konkrete Ergebnisse. Dabei drängt die Zeit.

Am 11. Februar soll das neue Hartz-IV-Gesetz den Bundesrat passieren. Dort ist das Regierungslager auf die Stimmen von Ländern angewiesen, in denen SPD und Grüne mitregieren. Am Mittwoch verhandelt erneut der Vermittlungsausschuss. Eine Einigung ist nicht in Sicht.

"CDU und FDP haben sich noch nicht wirklich bewegt, weil sie immer noch nicht begriffen haben, dass sie keine Mehrheit im Bundesrat bekommen, wenn sie nicht auf uns zugehen" sagte der Verhandlungsführer der Grünen, Vize-Fraktionschef Fritz Kuhn der Süddeutschen Zeitung. Die SPD-Vizechefin und Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, erwartet, "dass Union und FDP am Mittwoch in den eigenen Reihen einig sind und Antworten auf unsere Vorschläge haben". Die "Eierei in der Regierungskoalition" müsse ein Ende haben. Die Streitpunkte:

Wie hoch sollen die neuen Hartz-IV-Sätze ausfallen?

Vor gut einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht eine Neuberechnung der Sätze verlangt. Die Arbeitsministerium kam dabei auf ein Plus von monatlich fünf Euro auf 364 Euro, zumindest für Erwachsene. Maßgeblich für die Berechnung sind Daten des Statistischen Bundesamtes über die Ausgaben privater Haushalte.

Umstritten ist dabei, welche der einkommensschwächsten Haushalte heranzuziehen und welche von deren Ausgaben, etwa für die eigene Mobilität, zu veranschlagen sind. Je nach Rechenmethode können dabei 382, 394 oder mehr als 400 Euro herausspringen. SPD und Grünen geht es vor allem darum, die Berechnung "verfassungsplausibler" zu machen, wie es Kuhn formuliert. Er sagt: "Wenn sich hier gar nichts tut, werden wir nicht zustimmen."

Worum geht es bei der weißen Ware?

Bei der Einführung von Hartz IV war es das Ziel, den Hilfebedürftigen möglichst viel Selbstverantwortung zu übertragen. Der Antrag beim Sozialamt, etwa auf einen neuen Wintermantel, fiel weg. Die Hartz-IV-Bezieher sollen stattdessen aus der Grundsicherung möglichst alles bezahlen und für größere Anschaffungen, etwa für ein Kinderfahrrad, Geld zurücklegen. Das aber funktioniert in der Regel nicht.

Nun wird diskutiert, zumindest bei einmaligen Ausgaben für "weiße Waren" (Kühlschränke, Waschmaschinen und Ähnliches), wieder eine Ausnahme zu machen. Bislang sind dafür im möglichen neuen Hartz-IV-Satz, je nach Rechenweise, fünf bis sechs Euro kalkuliert. Das Geld wäre dann eine weitere Variable bei der Berechnung der Leistung. Das Problem dabei: Die "weiße Ware" herauszunehmen, wäre nicht konsequent, wenn dies für andere einmalige Anschaffungen, etwa für Möbel oder ein Fernsehgerät, nicht auch gilt.

Was wird bei der Pauschale für Übungsleiter geändert?

Wer sich im Sportverein engagiert und zum Beispiel als Trainer eine geringe Aufwandsentschädigung erhält, kann bei seiner Steuererklärung die Übungsleiterpauschale nutzen. Bis zu einer Grenze von 2100 Euro jährlich sind diese Einnahmen dann nicht zu versteuern. Hartz-IV-Empfänger müssen dagegen einen Großteil dieser Honorare mit ihrem Arbeitslosengeld II verrechnen. Mit dieser Benachteiligung soll künftig Schluss sein.

Was ist mit den Mindestlöhnen?

Der von der Opposition geforderte flächendeckende Mindestlohn ist für die Regierungsseite völlig inakzeptabel. Sehr wahrscheinlich wird es aber einen Mindestlohn für die mehr als 900.000 Leiharbeiter geben. Dieser wird voraussichtlich kombiniert mit einer neuen gesetzlichen Auflage. Demnach sind Leiharbeiter nach einer bestimmten Frist zu bezahlen wie die Stammbelegschaft in dem Betrieb, an den sie die Zeitarbeitsfirma verliehen hat.

Das Ziel dabei: den zunehmenden Austausch von Stammbeschäftigten durch billigere Leiharbeiter zu verhindern. Die Frage, wie lang ein Leiharbeiter warten muss, bis er dasselbe Gehalt bekommt, ist jedoch umstritten. SPD und Grüne wollen eine möglichst kurze Frist. Union und FDP haben nicht klar zu erkennen gegeben, wie weit sie hier nachgeben wollen. "Die sechs bis zwölf Monate, die bei der FDP kursieren, sind mit uns nicht zu machen", sagt Kuhn.

Was wird aus dem Bildungspaket?

Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Böde (FDP) geht davon aus, dass das Paket durch die Kommunen und nicht durch die Bundesagentur für Arbeit umgesetzt wird. Dies bestätigen SPD und Grüne. Die 1300 zusätzlich geplanten Stellen in den Jobcentern wären dann nicht nötig. Als sicher gilt, dass es nicht für jede Schule einen Sozialarbeiter gibt, wie dies die SPD gefordert hat. Es könnte aber Geld für weitere Sozialarbeiter in den Kommunen geben. "Die müssen dafür sorgen, dass die Hilfen auch wirklich bei den Kindern ankommen", sagt Kuhn.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2011
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