Süddeutsche Zeitung

Technik für Ältere:Oma, warum hast du so hohen Blutdruck?

Lesezeit: 4 min

Von Claus Hulverscheidt, Las Vegas

Wenn sich Senioren bisher entscheiden mussten, wo sie ihren Lebensabend verbringen wollten, standen ihnen oft nur zwei gleich schlechte Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder sie gaben ihre Selbständigkeit zumindest teilweise auf und zogen zu den Kindern oder in eine Alteneinrichtung. Oder sie blieben in den vertrauten vier Wänden, waren jedoch - auch in Notfällen - meist auf sich allein gestellt. Die Digitalisierung hat älteren Menschen nun eine dritte Option eröffnet: Sie wohnen weiter zu Hause, nutzen aber Hightech-Geräte und Roboter, die ihre Gesundheit überwachen, ihnen im Alltag helfen und per App Informationen an nahe Verwandte oder den Hausarzt schicken. Auch viele Kinder und Enkel, die sich etwa um die allein lebende Mutter oder Großmutter sorgen, sollen dank der neuen Tech-Assistenten künftig besser schlafen können.

So breit das Spektrum an Hilfsmitteln mittlerweile ist, so schmal ist allerdings auch der Grat zwischen notwendiger Fürsorge und totaler Überwachung, auf dem Senioren wie Angehörige bei der Nutzung moderner Technik wandeln. Schließlich kann es nicht sein, dass ein zwar älterer, aber vitaler und selbstbestimmter Mensch das Mehr an Sicherheit, das er etwa durch die Verwendung von Überwachungskameras verbucht, mit dem Verzicht auf jegliche Privatsphäre bezahlen muss. "Natürlich muss ich weiter nackt in meiner Wohnung herumlaufen dürfen, ohne Angst zu haben, dass mich jemand sieht", sagt Renee Acosta, Mitarbeiterin des US-Unternehmens Electronic Caregiver, das zu den vielen Dutzend Firmen zählt, die ihre Ideen und Produkte zum Thema "Tech für Senioren" derzeit auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas präsentieren.

Die meisten Anbieter von Altenpflege-Technologie verzichten deshalb auf jene neuen Kameras, mit denen gerade in den USA seit einiger Zeit etwa junge Eltern hunderttausendfach ihre Babys und Kleinkinder überwachen. Stattdessen setzen die Firmen auf "dumme" Beobachtungsgeräte, wie Acosta sie nennt, also zum Beispiel auf Infrarotmelder. Sie registrieren unter anderem, in welchem Zimmer sich der Vater oder Großvater aufhält, "sehen" diesen aber nicht.

Der Tech-Anbieter Care Predict hat ein System entwickelt, das über eine Kombination aus in der Wohnung installierten sowie am Körper tragbaren Sensoren und Trackern Informationen darüber sammelt, ob die überwachte Person gut schläft, aktiv ist, sich wäscht oder isst. Dabei lernt der zugrunde liegende Algorithmus mit der Zeit die Gewohnheiten der Rentnerin oder des Rentners kennen und registriert, wenn sie oder er vom sonst üblichen Routineprogramm abweicht. "Verhält sich ein Senior plötzlich anders als sonst, ist das nach aller Erfahrung ein Alarmsignal", sagt Care-Predict-Marketingchefin Subhashree Sukku. Bleibt er beispielsweise am Morgen ungewöhnlich lange im Schlafzimmer, erhalten die Kinder einen Hinweis, dass der Vater oder Schwiegervater womöglich depressiv gestimmt oder krank ist. Stellt er den Herd den ganzen Tag über nicht an, ist das ein Hinweis darauf, dass er vielleicht zu wenig oder nicht gesund isst.

Noch einen Schritt weiter geht der Care-Predict-Konkurrent Electronic Caregiver, der mit der animierten Computerfigur Addison eine virtuelle Pflegehelferin geschaffen hat. Die Seniorin oder der Senior kann die freundliche junge Frau auf dem Bildschirm beispielsweise fragen, wann ein Arzttermin ansteht, ob man sein Medikament schon genommen hat oder ob sie ein Spiel spielen will (sie will). Über einen Fingerclip und andere Zusatzgeräte lassen sich zahlreiche Gesundheitsparameter wie der Blutzucker, der Blutdruck und die Körpertemperatur ermitteln, die Addison speichert und auf Wunsch allen Nutzern der zugehörigen App mitteilt. Stürzt der ältere Mensch und kann sich nicht selbst wiederaufrichten, reicht es, "Hilfe" zu rufen, Addison kontaktiert dann umgehend einen Notarzt und die Verwandten.

Der Einsatz digitaler Technik geht über die Überwachung allein lebender Familienangehöriger allerdings weit hinaus. Es gibt Schuhe, die über einen Sensor in der Sohle registrieren, ob ihr Besitzer gefallen ist. Es gibt Computerprogramme, die es ermöglichen, dass etwa die Enkel Fotos auf den Fernseher der Oma schicken können. Diese nimmt damit am Leben ihrer Lieben teil, ohne sich auf ihre alten Tage noch mit dem Smartphone abmühen zu müssen. Und es gibt täuschend echt wirkende Plüschtierroboter, die einem Rentner, der die Verantwortung für einen echten Hund oder eine echte Katze nicht mehr übernehmen will, auf dem Sofa Gesellschaft leisten.

Wer seine Pillen nicht einnimmt, wird vom Roboter freundlich daran erinnert

Zu den nützlichen Hilfsgeräten gehört auch der Arzneimittelroboter Pria, den der Werkzeug- und Maschinenhersteller Black+Decker entwickelt hat. Pria kann bis zu 28 Medikamentendosen aufnehmen, per App wird festgelegt, welche Pille wann und wie oft genommen werden soll. Zum vorbestimmten Zeitpunkt fallen die entsprechenden Kapseln in einen Becher, den der ältere Mensch nehmen, leeren und wieder unter den Auslass stellen muss. Tut er das nicht, mahnt Pria in regelmäßigen Abständen mit freundlicher Stimme, die Mittel einzunehmen - und informiert gegebenenfalls die Verwandten oder den Arzt.

Ein ebenso sinnvolles Hilfsmittel ist das Ohrhörersystem des Technologieanbieters Alango. Es erlaubt Senioren einerseits, ganz klassisch Musik zu hören oder zu telefonieren. Darüber hinaus aber dienen die Knöpfe im Ohr auch als Hörgerät, das unerwünschte Nebengeräusche herausfiltert, sich per App feintunen lässt und sogar einen Modus anbietet, bei dem die Stimme eines Gesprächspartners zum besseren Verständnis verlangsamt wiedergegeben wird. Steht man der Gesprächspartner direkt gegenüber, führt das zu dem verblüffenden Anblick, dass man die Stimme hört, die Lippenbewegungen des anderen aber nicht zum Gesagten passen. Der Medizintechnik-Hersteller Valencell wiederum hat Minisensoren entwickelt, die sich in praktisch jeden Ohrhörer integrieren lassen und die den Blutdruck sowie die Pulsfrequenz messen und permanent an die zugehörige App melden.

Rentner, die Lust haben, sich noch mit dem Internet zu befassen, können zudem Mitglied einer virtuellen Senioren-Wohnanlage werden. Gegen eine Monatsgebühr erhält man hier Hilfe beim Einkaufen, Waschen, Arztbesuchen, der Beantragung staatlicher Unterstützung und vielem mehr. Vor allem aber hält und findet man Kontakt zu Gleichaltrigen. Denn bei aller Liebe zu den Kindern und Enkeln: Wer versteht einen schon so gut wie jemand, der in der gleichen Situation ist?

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Quelle:
SZ vom 10.01.2020
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