Süddeutsche Zeitung

Wolodimir Selenskij:"Die Welt darf nicht länger zögern"

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Der ukrainische Präsident mahnt in Davos, keine Zeit zu verlieren im Kampf gegen Russlands Truppen, denn auch Moskau verliere keine Zeit beim Morden. Und dann wird er ganz schön poetisch.

Von Vivien Timmler, Davos

Beim Weltwirtschaftsforum geht es dieser Tage viel um Geld: um Überschüsse, Defizite, Sanktionen und Investitionen. Ständig fällt in den unterschiedlichsten Zusammenhängen der Satz "Zeit ist Geld". Auch Wolodimir Selenskij machte den Wert Zeit am Mittwochabend zum Stilmittel seiner Rede. Doch für den ukrainischen Präsidenten ist Zeit nicht Geld. Für ihn bedeutet Zeit Leben. Menschenleben.

Seine Rede vor einflussreichen Politikern, Managern und Wissenschaftlern in Davos, für die er live aus Kiew zugeschaltet ist, beginnt er mit einer Schweigeminute, zu der sich der voll besetzte Saal erhebt. Eine Schweigeminute nicht nur für den wenige Stunden zuvor bei einem Hubschrauberunglück verunglückten ukrainischen Innenminister Denys Monastyrskyj, sondern für alle Opfer, die der russische Angriffskrieg bislang auf ukrainischer Seite gefordert habe. Vor Ort im Publikum befindet sich auch seine Frau, die First Lady der Ukraine, Olena Selenska.

Dann widmet sich Selenskij: der Zeit. Russland habe nur eine einzige Sekunde gebraucht, um den Krieg zu beginnen, so der ukrainische Präsident. "Doch die Welt benötigte Stunden, Tage und Wochen, um darauf zu reagieren." Generell handele die Welt zu zögerlich. Sie habe gezögert, als Russland 2014 die Krim annektierte. Sie habe gezögert, als Russland 2022 den Krieg begann. Und sie zögere immer noch. "Die Welt darf nicht länger zögern", so Selenskij. "Die Zeit, die die Welt braucht, um zu denken, wird von Terroristen genutzt, um zu töten." Russland, fügt er hinzu, habe sich einen Platz unter den Terroristen verdient. Die Lieferung von Flugabwehrsystemen und Panzern an die Ukraine müsse daher rascher erfolgen als die russischen Angriffe auf sein Land.

Dann streut er einen optimistischen Ton ein. Er sei sich sicher, "dass wir die aktuelle Bedrohung überwinden werden". Auch sorge er sich nicht um seine eigene Sicherheit, wie er immer und immer wieder gefragt wird - erst recht an einem Tag, an dem eines seiner Kabinettsmitglieder verstorben ist und an dem der britische Independent darüber berichtet, dass der Staatschef bereits zwölf Mordanschläge überlebt haben soll. Selenskij zitiert sich stattdessen lieber selbst mit seiner mittlerweile legendären Aussage vom Beginn des Krieges vor elf Monaten: Er brauche nicht mehr Schutz und schon gar keine Fluchthilfe, er brauche mehr Munition.

Danach gefragt, was er zu dem "Hubschrauberunfall" vor wenigen Stunden sagen könne, sagte Selenskij, dass er dieses Wort nicht benutzen werde. "Das war kein Unfall", so Selenskij, "diese Tragödie wurde durch den Krieg herbeigeführt. Dieses Unglück ist ein Resultat des Krieges".

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