Süddeutsche Zeitung

Schuldenkrise:Europa zittert vor der Rückkehr der Krise

Lesezeit: 3 min

Von Daniel Brössler, Alexander Mühlauer und Mike Szymanski

Donald Tusk hat sich das so schön vorgestellt. Am Vormittag kommen die Staats- und Regierungschefs nach Brüssel, reden erst über die Fortschritte in der Flüchtlingskrise, über die kaum noch strittige stärkere Zusammenarbeit bei der Verteidigung, schließlich über eine Initiative gegen Jugend-Arbeitslosigkeit. Wenn sich die Häupter der EU an diesem Donnerstag so kurz vor Weihnachten noch einmal treffen, soll es nach einem schrecklichen Jahr ein Routine-Gipfel werden. Nur einen Tag hat Ratspräsident Tusk angesetzt. Zum Abendessen noch das leidige Thema Brexit, danach besinnliche Ruhe. So war es gedacht.

Tatsächlich aber werden die Chefs auf einen Berg aus Problemen, Konflikten und Risiken blicken, der Angst davor macht, dass die große europäische Krise wiederkehrt - und zwar schlimmer als zuvor. Sie haben den Rücktritt ihres römischen Kollegen Matteo Renzi zu verkraften. Mitten in der Regierungskrise muss Italien nun auch noch eine Großbank retten; vielleicht sogar verstaatlichen. Am Wochenende wird darüber verhandelt. Und als hätte das gerade noch gefehlt, rief sich jetzt auch noch der Grieche Alexis Tsipras wieder in Erinnerung.

Der Premier kündigte am Donnerstagabend ein vorweihnachtliches Geschenk an: 1,6 Millionen Pensionäre, die weniger als 850 Euro Rente beziehen, sollen eine Extrazahlung erhalten. Die Kosten für den griechischen Staat: 617 Millionen Euro. Außerdem erklärte er, die für die Inseln der nördlichen Ägäis angedachte Mehrwertsteuer-Erhöhung werde nicht umgesetzt. Dort waren in der Flüchtlingskrise Tausende Menschen gestrandet.

Warum er das alles tut? Tsipras läuft die Zeit davon. Wenn er nicht endlich einen Erfolg für die gebeutelten Griechen vorweist, wird er sich nicht mehr lange an der Regierung halten können. In Athen wird bereits über Neuwahlen spekuliert. Für den Premier ist dieses Szenario in erster Linie ein Druckmittel. Denn damit wäre Griechenland zurück auf der EU-Krisenagenda.

Daran hat in Europa niemand Interesse. Auch die Euro-Partner wollen, dass Tsipras im Amt bleibt. Denn zuletzt wuchs die Wirtschaft besser als erwartet, im Haushalt gibt es dieses Jahr sogar einen Überschuss. Den will Tsipras für das Rentengeschenk verwenden. Laut der Vereinbarung mit den Gläubigern darf die griechische Regierung während des laufenden Kreditprogramms Geld für Sozialleistungen ausgeben. Aber zählen die Renten dazu? Das Streichen der Mehrwertsteuer-Erhöhung fällt wohl kaum darunter.

Ein Affront bleibt in jedem Fall: Tsipras hat seine Wohltaten nicht mit den Gläubigern abgestimmt. Genau das aber hätte er gemäß einer Vereinbarung tun müssen. Dementsprechend provoziert fühlen sich nun EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Europäischer Rettungsfonds ESM. Für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble birgt die Griechenlandkrise innenpolitischen Sprengstoff. Denn schaffen es die Europäer nicht bald, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) sich am Programm beteiligt, dürfte Griechenland zum Thema im Bundestagswahlkampf werden. Aus Sicht des IWF ist Tsipras' Plan Gift für die wirtschaftliche Erholung des Landes. Der Fonds dringt darauf, die Renten im Schnitt um weitere 20 Prozent zu kürzen.

Italien könnte andere Staaten mit in den Abgrund ziehen

Die größte Gefahr für eine Rückkehr der Euro-Krise kommt jedoch aus Italien. Das hochverschuldete Land könnte allein wegen seiner Größe andere Staaten mit in den Abgrund ziehen. Besonders die maroden Banken machen die Finanzmärkte nervös. Italiens Geldhäuser sitzen auf faulen Krediten in Höhe von 360 Milliarden Euro. Schon am Wochenende wird es ernst: Rom verhandelt über eine Verstaatlichung von Monte dei Paschi di Siena. Die Lage ist so angespannt, weil die EZB-Bankenaufsicht die Bitte abgelehnt hat, dem Institut wegen der Regierungskrise in Rom mehr Zeit zu geben, um bei Investoren das dringend nötige Geld für eine Kapitalerhöhung einzusammeln. Damit steigt der Druck auf die Regierung, die drittgrößte Bank Italiens zu retten. Die Aktien von Monte dei Paschi wurden am Freitag mehrmals vom Handel ausgesetzt.

Die EU muss der wirtschaftlichen Gefahr nun trotzen, doch sie ist politisch angeschlagen wie noch nie. Der Wahlsieg von Donald Trump in den USA und die Brexit-Verhandlungen hat die Union tief verunsichert. Auch Angela Merkel führt weit weniger unangefochten als früher. Hinzu kommt die Schwäche Frankreichs. Es erweist sich unter Präsident François Hollande als reformunfähig. Wie in Italien droht eine junge Generation ohne Job aufzuwachsen. Ein Sieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl im Frühjahr ist möglich. Die Französin würde die EU am liebsten zerstören. Beim Gipfel am Donnerstag gilt deshalb eine Devise: nur keine Panik zeigen.

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SZ vom 10.12.2016
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