Süddeutsche Zeitung

Schifffahrt:Der Geruch des Schwefels

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Die meisten Schiffe sind auf hoher See mit Schweröl und ohne Abgasfilter unterwegs. Von 2020 an ist das weltweit verboten. Müssen Kreuzfahrttouristen in Zukunft kein schlechtes Gewissen mehr haben?

Von Angelika Slavik, Hamburg

So eine Kreuzfahrt übt auf viele Menschen eine besondere Faszination aus. Millionen werden sich während der Weihnachtsfeiertage diverse alte und neue Folgen des " Traumschiffs" ansehen, viele sind schon selbst als Touristen auf einem Kreuzfahrtschiff gefahren. Wie viele dabei wohl ein schlechtes Gewissen hatten? Schiffe sind bislang, bezogen auf ihre Abgaswerte, schlimme Dreckschleudern. Das gilt sowohl für Kreuzfahrt- als auch für Frachtschiffe. Während an Land schon lange um niedrigere Emissionen wenigstens gerungen wird, war das offene Meer in Abgasfragen ein nahezu ungeregelter Raum. Deshalb fahren die meisten Schiffe heute mit Schweröl, einem Abfallprodukt der Ölindustrie, das mit allerlei Schadstoffen wie Schwermetallen belastet, aber sehr billig ist. Schweröl ist eine klebrige, teerartige Masse, nach dem Verbrennen entstehen Emissionen mit hohen Anteilen an Schwefel, Stickoxiden, CO₂, Ruß. Diese Emissionen werden auf vielen Schiffen ungefiltert in die Luft geblasen. Jeder Diesel-Pkw hat heute Katalysator und Partikelfilter, aber viele Schiffe haben gar nichts, um die Umweltbelastung zu verringern.

Von 2020 an aber gelten neue Regeln für den Schiffsverkehr. Nun sollen Schiffe nur noch Treibstoff mit höchstens einem halben Prozent Schwefelanteil tanken dürfen. So hat es die International Maritime Organization (IMO) beschlossen, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Statt schwefelarmen Kraftstoff zu tanken, können die Reeder auf ihren Schiffen aber auch sogenannte Scrubber einbauen, also eine Abgasreinigungsanlage. Auch dann gelten die Vorschriften als erfüllt.

Für die Reeder ist die neue Vorschrift ein heftiger Einschnitt. Das markiere "eine Zeitenwende", findet Ralf Nagel, Präsidiumsmitglied beim Verband deutscher Reeder (VDR). Vor allem finanziell ist die Umstellung für die Unternehmen unangenehm: Bei der größten deutschen Reederei Hapag-Lloyd etwa rechnet man mit Mehrkosten von rund einer Milliarde Dollar pro Jahr. Denn der schwefelärmere Treibstoff ist pro Tonne etwa 250 Dollar teurer als das billige alte Schweröl. Einige der Hapag-Lloyd-Schiffe werden aber auch umgerüstet: Der Einbau eines Scrubbers koste pro Schiff etwa vier bis sechs Millionen Dollar. Die Umrüstung eines Schiffes auf den als besonders umweltfreundlich geltenden Antrieb mit LNG, also Flüssiggas, kostet dagegen 30 Millionen Dollar pro Schiff. "Die neuen Techniken sind in der Containerschifffahrt bislang so gut wie nicht erprobt", heißt es bei Hapag-Lloyd. "Wir probieren deshalb alle Varianten aus und sehen, welche am nachhaltigsten funktioniert."

Der neue Kraftstoff ist viel teurer, es geht um Millionen. Die Versuchung, zu betrügen, ist groß

Geht es nach Umweltschutzaktivisten, sollte jedenfalls die Variante mit dem Scrubber schnellstmöglich auch verboten werden. "Die neuen Abgasregeln sind grundsätzlich ein Schritt in die richtige Richtung", sagt Sönke Diesener vom Naturschutzbund Nabu. "Aber wenn es um die Scrubber geht, muss man sagen, hier wurde Regulierung nicht zu Ende gedacht."

Der Kritikpunkt der Organisation: Scrubber nutzen Meerwasser, um die bei der Verbrennung entstehenden Abgase vereinfacht ausgedrückt zu "beregnen". Dabei wird Schwefeldioxid gebunden. Manche Scrubber sammeln diese gebundenen Schadstoffe nun, sie können dann im nächsten Hafen abgegeben und entsorgt werden. Andere Systeme aber leiten das Wasser mit den Schadstoffen einfach wieder zurück ins Meer. "Was also aus der Luft rausgefiltert wurde, wird stattdessen in die Ozeane gepumpt", sagt Diesener. "Es ist offensichtlich, dass das keine umweltschonende Technologie ist."

Während Containerschiffe zu 90 Prozent den neuen Treibstoff verwenden wollten, seien Scrubber besonders bei Kreuzfahrtschiffen verbreitet. Denn die haben einen extrem hohen Energieverbrauch, schließlich müssen Pools beheizt, Biervorräte transportiert und Gäste bespaßt werden. Den neuen, teuren Treibstoff zu tanken, wäre für Kreuzfahrtschiffe also ein noch größerer wirtschaftlicher Unterschied zu früher, als es bei Frachtschiffen der Fall ist. Deshalb ist es reizvoll, lieber Scrubber einzubauen und weiterhin das billige Schweröl zu tanken. Wer also hoffte, als Kreuzfahrttourist künftig kein schlechtes Gewissen mehr wegen der Umweltbelastung haben zu müssen, muss wohl in vielen Fällen enttäuscht werden.

Ebenfalls problematisch: Scrubber können theoretisch auch ausgeschaltet werden. Am offenen Meer könnten Reedereien also in Versuchung kommen, den Energieaufwand für die Abgasreinigung gleich ganz einzusparen - und das billige Schweröl weiter zu verbrennen ohne die Abgase zu filtern. Ganz so, wie es bisher passiert. "Wir müssen wirklich darauf hoffen, dass penibel kontrolliert wird", sagt einer aus der Branche. "Die großen Containerreedereien können sich nicht leisten, jetzt beim Betrügen erwischt zu werden. Aber Kleinere könnten es natürlich darauf ankommen lassen und hätten dann einen extremen Wettbewerbsvorteil."

Tatsächlich ist die Versuchung wohl groß: Ein Schiff, das am Tag 80 Tonnen Treibstoff verbraucht, spart bei aktuellen Preisen etwa 20 000 Dollar Treibstoffkosten am Tag, wenn es Schweröl tankt statt des neuen schwefelarmen Treibstoffs. Eine Reederei mit zehn Schiffen könnte so binnen fünf Tagen eine Million Dollar Treibstoffkosten einsparen - und mit billigeren Tarifen die Konkurrenz ausstechen.

Gemault wird hinter vorgehaltener Hand in der Branche auch über den Zeitpunkt der Neuregelung. Denn die Schifffahrt wickelt etwa 90 Prozent des globalen Handelsvolumens ab. In den nächsten fünf Jahren sollen durch die neuen Umweltvorschriften Mehrkosten von mehr als einer Billion Dollar entstehen, glauben Analysten von S&P Global Platts. Weil die Konjunkturaussichten für das kommende Jahr ohnehin nicht gut sind, macht diese erwartete Mehrbelastung manchen Beobachtern zusätzlich Sorge. Wirtschaft und Umwelt - manchmal tun sie sich immer noch verdammt schwer miteinander.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2019
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