Süddeutsche Zeitung

Verbraucherschutz:Überraschender Schritt zur europäischen Sammelklage

Lesezeit: 2 min

Von Karoline Meta Beisel und Björn Finke, Brüssel

Ob VW-Fahrer, deren Auto dreckiger ist als gedacht, Facebook-User, die von dem Cambridge-Analytica-Hack betroffen waren, oder Hausbauer in Spanien, die auf miese Hypotheken hereingefallen sind: Die EU-Kommission will es Verbrauchern erleichtern, vor Gerichten Schadenersatz einzuklagen, und hat darum im April des vergangenen Jahres ein Gesetz für eine europäische Sammelklage vorgeschlagen. Am Donnerstagvormittag haben nun die EU-Mitgliedstaaten der Idee ihre Zustimmung erteilt, und das Vorhaben damit einen entscheidenden Schritt weitergebracht. "Bald können Verbraucher in der gesamten EU ihre Rechte gemeinsam und effizienter einfordern", sagt der finnische Arbeitsminister Timo Harraka, der als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft das Ministertreffen leitete. "Der Binnenmarkt kann sein Potenzial nur ganz entfalten, wenn Verbraucher auch Zugang zu wirksamen, bezahlbaren Rechtsmitteln haben."

Konkret haben sich die EU-Minister darauf geeinigt, dass speziell dazu berufene Einrichtungen, etwa Verbraucherverbände, im Namen von Geschädigten Klagen anstrengen können, und zwar entweder innerhalb eines Landes, aber auch grenzüberschreitend, wenn der Vorfall mehrere EU-Länder betrifft. Mögliche Felder, in denen so eine Klage in Frage kommen könnte, sind etwa Reiserechtsfälle, Betrug durch Finanzdienstleister, fehlerhafte Medizinprodukte oder Datenschutzverstöße, etwa bei Telekommunikationsanbietern.

Bisher können Verbände oft nur auf Bußgelder für Unternehmen klagen. "Die bringen dem einzelnen Verbraucher aber nichts", sagte die zuständige EU-Kommissarin Věra Jourová der Süddeutschen Zeitung. "Ich wollte ein Mittel, das den Geschädigten auch ganz praktisch hilft." Die neue EU-Sammelklage soll darum nicht nur Klagen auf Unterlassung, sondern auch auf Schadenersatz ermöglichen.

Allerdings soll es den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, wie genau sie das Verfahren ausgestalten wollen, ob die Verbände etwa automatisch für alle Betroffenen klagen können oder nur für jene Verbraucher, die sich einer Klage ausdrücklich angeschlossen haben.

Dass eine Einigung am Donnerstag überhaupt zustande kam, ist eine kleine Überraschung. Denn im Ministerrat war die EU-Sammelklage lange Zeit durchaus umstritten gewesen. Auch die Bundesregierung hatte die europäische Sammelklage von Beginn an eher kritisch gesehen, und in den Verhandlungen mit den anderen Mitgliedstaaten auf schärfere Regeln gedrängt. Sie konnte sich aber nicht durchsetzen und enthielt sich darum bei der Abstimmung am Donnerstag.

Kritiker befürchten einen Klage-Tourismus

In Berlin unterstützt man zwar das Ziel, hält aber die Umsetzung für problematisch. Die Regierung - und viele deutsche Wirtschaftsverbände - warnen, dass die EU-Regelung im Vergleich zur deutschen Musterfeststellungsklage laxere Kriterien vorsieht, wer solch eine Klage organisieren und erheben kann. Zudem wird kritisiert, dass nur für grenzüberschreitende Klagen einheitliche Regeln festgezurrt werden. Für Klagen innerhalb eines Landes können Regierungen eigene Standards setzen. Das könnte dazu führen, dass Kläger ihre Verfahren bewusst in Staaten mit geringeren Hürden anstrengen, sagen Kritiker. Hinter diesen Sorgen steht die Angst, dass sich in Europa eine Klageindustrie wie in den USA entwickeln könnte, wo spezialisierte Anwaltskanzleien reihenweise Sammelklagen gegen Konzerne einreichen.

Vor dieser Gefahr warnte nach der Abstimmung im Ministerrat auch der europäische Arbeitgeberverband Business Europe: "Die EU riskiert jetzt Schlupflöcher, die zu missbräuchlichen Klagen führen können, die den Verbrauchern gar nichts bringen", sagte deren Generaldirektor Markus Beyrer. In den USA habe man beobachtet, dass inzwischen sogar Hedgefonds in das Geschäft mit den Klagen einsteigen. Es brauche darum dringend gemeinsame, strengere Regeln, wer solche Klagen anstrengen könne.

Verbraucherverbände hingegen begrüßten die im Ministerrat erzielte Einigung. So sagte Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband: "Die hohe Beteiligung an der Musterfeststellungsklage gegen VW zeigt, dass Verbraucher gemeinsam klagen wollen. Diesen Weg müssen wir fortsetzen und nun europaweit eine noch effektivere Sammelklage auf den Weg bringen." Auch die europäische Verbrauchervereinigung (Beuc) lobte die erzielte Einigung, kritisierte aber, dass die Minister den Vorschlag der EU-Kommission insofern abgeschwächt haben, dass es für Verbände nun schwerer ist, solche Klagen mit externer Hilfe zu finanzieren. "Für viele Verbraucherverbände wäre es schwer, solche Verfahren selbst zu finanzieren", hieß es in einer Mitteilung.

Bevor die EU-Sammelklage wirklich kommt, müssen sich die Mitgliedstaaten noch mit dem EU-Parlament auf einen konkreten Gesetzestext verständigen. Die Verhandlungen dazu sollen in den kommenden Wochen beginnen.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2019
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