Süddeutsche Zeitung

Öl- und Gasindustrie:Wie Norwegen vom Krieg profitiert

Lesezeit: 3 min

Die Energiekrise beschert Norwegens Öl- und Gasindustrie Rekordgewinne. Und Debatten: Müsste man nicht einen Teil des Profits abgeben? Und warum gibt es so viele Klimawandelleugner im Land?

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Norweger haben einen Ruf als nüchterne Bürger, die ihren Wissenschaftlern vertrauen. Ausgerechnet die Klimawissenschaftler scheinen sie davon allerdings auszunehmen. Die Überraschung war groß vor ein paar Wochen, als eine europaweite Umfrage im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020 ergab, dass die meisten Klimawandelleugner unter den befragten Nationen in Norwegen saßen: Während acht von zehn Italienern angaben, der Klimawandel sei menschengemacht, glaubten das gerade mal sechs von zehn Norwegern.

Auch viele Norweger waren erschrocken ob des Ergebnisses. Bei der Suche nach den Gründen kam man schnell zu der Tatsache, "dass wir Öl im Blut haben", wie die Osloer Zeitung Dagsavisen diese Woche schrieb: "Wir sind nicht bereit, zu opfern, was uns in den letzten fünfzig Jahren Reichtum beschert hat." Dazu passte ein weiteres Ergebnis der EU-Studie: Kein anderes Volk hat so viel Vertrauen in die Öl- und Gasindustrie wie die Norweger. Kein Wunder, finanziert sie doch den Wohlstand des Landes.

Und das Geld sprudelt wie nie zuvor. Norwegens größter Öl- und Gaskonzern, das Staatsunternehmen Equinor, gab am Mittwoch fürs letzte Quartal erneut einen Rekordgewinn bekannt, der alle Erwartungen übertraf: Gewinn vor Steuern 17,6 Milliarden Dollar. Das Unternehmen will nun umgerechnet zwei Milliarden Euro an Dividende an die Aktionäre ausschütten und für eine Milliarde Euro Aktien zurückkaufen. Equinor-Vorstandschef Anders Opedal nannte den Grund am Mittwoch selbst: Russlands Invasion in der Ukraine, diese habe "eine Energiekrise mit hohen Preisen geschaffen". Opedal war bemüht, sein Unternehmen als fleißigen Arbeiter im Dienste des Guten zu zeichnen: "Equinor tut sein Bestes, um eine sichere Energieversorgung Europas zu gewährleisten."

"Europa schreit nach Gas."

Und tatsächlich sind die Europäer im Moment heilfroh vor allem um jeden Kubikmeter Gas, den Norwegen liefert. Bis zu 25 Prozent ihres Gases importiert die EU mittlerweile aus Norwegen, 40 Prozent waren es zuletzt aus Russland. "Europa schreit nach Gas", schreibt der Sender NRK. Acht Prozent mehr als 2021 hätten die EU-Länder im ersten Halbjahr von Norwegen bezogen.

Norwegen als Retter des Kontinents, das Bild gefällt vielen im Norden. Die Norweger hätten seit jeher ein Selbstverständnis als moralisch "gute Nation", sagte Truls Tunby Kristiansen von der Arktis-Universität in Tromsø dem Sender NRK. Auch deshalb täten sie sich vielleicht schwerer als andere, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass die ihnen heilige Ölindustrie die Klimaerwärmung anfacht. Auch sprechen sie nicht so gerne über die Tatsache, dass die Hilfe Norwegens für Europa keine ganz selbstlose ist, tatsächlich wird das Land darüber zum veritablen Kriegsgewinnler. Der Wirtschaftszeitung Dagens Næringsliv (DN) zufolge verkaufte Norwegen von Januar bis März Gas für knapp 26 Milliarden Euro in den Rest Europas - ein Umsatz fünf Mal so hoch wie vor Krieg und Corona. Und die Gaspreise klettern weiter und weiter.

Es war der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki, der zu Beginn des Sommers den Norwegern vorrechnete, dass sie - wenn auch ohne Absicht - direkt und massiv vom Krieg Putins profitierten: "Liebe norwegische Freunde, das ist nicht normal, das ist nicht fair", sagte Morawiecki und forderte Norwegen auf, einen Teil seiner unverhofften Profite zu teilen mit den Opfern des Krieges. Tatsächlich entwickelte sich daraufhin eine Debatte in Norwegen selbst: Die einen schlugen vor, das Land solle seine Entwicklungshilfe erhöhen, andere forderten mehr direkte Hilfe für die Ukraine. Die Zeitung Aftenposten rechnete nach und kam auf mindestens neun andere europäische Länder, die verglichen mit ihrer Wirtschaftskraft mehr Hilfe für die Ukraine leisteten. Selbst das Finanzblatt DN schrieb in einem Leitartikel, das Geld "gehöre in gewisser Weise denen, die in den Schützengräben in der Ukraine kämpfen". Immerhin kämpften die nicht nur für ihr Land, sondern für die westliche Demokratie.

Die norwegische Regierung allerdings erteilt all solchen Vorschlägen eine Absage. Finanzminister Trygve Slagsvold Vedum begründet das mit der Lage des riesigen staatlichen Ölfonds, der Norwegens Ölgewinne für die Generationen der Zukunft investiert: Die Verluste des Fonds auf den gebeutelten Aktienmärkten der Welt seien noch immer größer als die Gewinne dieses Jahres. Tatsächlich müsse Norwegen also sparen.

Die vorsichtigen Töne auf staatlicher Seite sind ein starker Kontrast zur Euphorie in den Ölfirmen. Eine Überschrift in DN diese Woche lautete: "Wohin bloß geht all der Reichtum?"

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