Süddeutsche Zeitung

Nobelpreis für Wirtschaft:Der Wirtschafts-Nobelpreis ist zu marktgläubig

Lesezeit: 3 min

Historiker haben die Vergabe analysiert. Neoliberale Ökonomen wurden demnach bevorzugt. Wer zu weit links stand, hatte Pech - mit einer Ausnahme.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Es fängt schon damit an, dass Alfred Nobel Wirtschaft nicht mochte. Er "hasse sie von Herzen", schrieb er in einem Brief, den Nachkommen 2001 in einem Zeitungsartikel zitiert haben. Sie wollten diesen "falschen Nobelpreis" loswerden, den eben nicht ihr berühmter Vorfahre gestiftet hatte, sondern die schwedische Zentralbank, 73 Jahre nach Alfred Nobels Tod. Nun ist ein Buch über die Risiken des Wirtschaftsnobelpreises erschienen, der an diesem Montag wieder verliehen wird.

"The Nobel Factor" stellt die These auf, dass der Preis ökonomischen Theorien den Anschein wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit verleihe, die diese nicht besäßen. Dadurch habe er Ökonomen geholfen, die Politik von 1970 an stärker zu beeinflussen. "Der Nobelpreis scheint der Bewegung zu mehr Privatisierung, Globalisierung, Arbeitsmarktreformen, Reformen, nach denen der Marktliberalismus strebt, eine Berechtigung zu geben", sagt Autor Avner Offer. Er hat das Buch gemeinsam mit dem Schweden Gabriel Söderberg geschrieben, beide sind Wirtschaftshistoriker, der eine in Oxford, der andere in Uppsala.

Preis als Akt der Emanzipation

In ihrem Buch beschreiben sie, wie alles begann - mit der Eitelkeit eines Zentralbankers. Die schwedische Riksbank war damals anders als die deutsche und die amerikanische Notenbank abhängig von der Regierung, die Sozialdemokraten hielten die Zinsen niedrig, vor allem, um für billige Wohnungskredite zu sorgen. Die Banker warnten vor Inflation. Als Zentralbankchef Per Åsbrink den Diskontsatz eigenmächtig erhöhte, rief ein wütender Premierminister ihn zurück.

Åsbrinks Idee eines Wirtschaftsnobelpreises zum 300. Jubiläum der Bank war da wenigstens ein kleiner Akt der Emanzipation, zumal er aus Staatsmitteln bezahlt wurde. Die Angehörigen von Nobel bestanden auf einen anderen Titel, deswegen heißt er "Preis der schwedischen Reichsbank in Wirtschaftswissenschaft zur Erinnerung an Alfred Nobel". Ein sperriger Name, der ihm von Anfang an etwas Glanz genommen hat.

Unverdiente Autorität

Vom Restglanz hat die Notenbank selber wenig profitiert, denn den Preis vergibt die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften genauso wie die Nobelpreise in Physik und Chemie. Sie bestimmt ein Komitee aus Ökonomen, das den Preisträger vorschlägt. Der Preis habe jedoch, argumentieren die Autoren, indirekt den Einfluss der Zentralbanker weltweit gestärkt. Denn er entstand zu einer Zeit, in der sich der Fokus der Politik veränderte, man sich stärker auf den Kampf gegen Inflation konzentrierte als auf den Kampf gegen Arbeitslosigkeit.

Die Annahme, dass freie Märkte von selbst zur effizientesten Verteilung finden würden, setzte sich durch. Der Nobelpreis verlieh den marktfreundlichen Theorien dabei den Stempel wissenschaftlicher Autorität. Unverdient, argumentieren die Autoren, denn wissenschaftliche Theorien müssten sich in der Realität bestätigen lassen. Ökonomische Modelle funktionierten aber nur unter bestimmten, unrealistischen Annahmen.

Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), hält die These der Autoren für "völligen Unsinn". Natürlich testeten Ökonomen ihre Theorien. "Aber wir haben ein viel komplizierteres Problem als die Physiker, die replizierbare Versuche mit nicht denkenden Einheiten machen können."

Ökonomen dagegen testen das Verhalten von Menschen, solche Experimente sind schwer wiederholbar und kommen kaum zu allgemeingültigen Aussagen. "Ist doch interessant", sagt Buchautor Offer, "dass diejenigen Ökonomen, die empirisch arbeiten - und das ist die Hälfte der Nobelpreisgewinner - viel bescheidener sind, was die politische Relevanz ihrer Arbeit angeht, als die Theoretiker."

Bemüht um aus Ausgeglichenheit

Das Komitee für den Wirtschaftspreis hat sich bemüht, ausgeglichen zu erscheinen, und den Preis ebenso vielen Vertretern der Keynesianischen wie der Chicagoer Schule zu verleihen, ebenso vielen rechten wie linken Ökonomen. Der Gipfel dieser bemühten Ausgeglichenheit wurde 1974 erreicht, als der schwedische Sozialdemokrat Gunnar Myrdal gemeinsam mit dem Marktfundamentalisten Friedrich Hayek gewann. Hayek war damals fast aus der Wirtschaftswissenschaft verschwunden, der Preis holte ihn zurück.

In seiner Dankesrede warnte er, ein Nobelpreis für Wirtschaft verleihe seinen Trägern eine Autorität, die sich anders als in der Physik nicht auf die Wissenschaft beschränke. Hayeks Gegenpol Gunnar Myrdal sehen die Autoren als einzigen Preisträger, der ein sozialdemokratisches Konzept vertreten habe, in dem der Staat für Beschäftigung, Gesundheit, Ausbildung, soziale Sicherheit sorge. Darin besteht für sie die eigentliche Unausgeglichenheit. Abschaffen möchte Offer den Preis aber nicht: "Er belohnt Menschen, die nach Wahrheit suchen. Das kann nicht völlig falsch sein."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3197028
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.10.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.