Süddeutsche Zeitung

Netzneutralität:Zwei-Klassen-Leitung

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Von Claus Hulverscheidt, Berlin, und Helmut Martin-Jung, Berlin/München

Netflix, Sky Go, Amazon Prime Video, Youtube - bewegte Bilder, die über Datenleitungen auf Fernseher, Tablets und Smartphones kommen, machen längst einen Großteil des Datenverkehrs aus. Ja, zu den Stoßzeiten kann es so eng werden in den Netzen, dass der Krimi aus der Mediathek oder die Fußball-Übertragung ins Stocken geraten. Die Ursache ist nicht schwer zu erklären: Die Internetanbieter haben ihren Kunden mehr Leistung verkauft als sie tatsächlich liefern können - wie bei einer Airline, die den Flieger überbucht.

Wer aber hat Schuld daran? Diese Frage führt direkt zu einem Begriff, von dem in jüngerer Zeit häufiger die Rede war, der sogenannten Netzneutralität. Er besagt, dass im Netz niemand bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Das Video, das zum Beispiel Youtube in die Leitung seines Internetdienstleisters jagt, muss etwa die Telekom in ihrem Netz weiterleiten, wenn einer ihrer Nutzer es anklickt. Geld bekommt aber nur der erste der Zugangsanbieter, die anderen Netzbetreiber müssen die Daten kostenlos durchleiten. Die Internetanbieter, viele davon ehemalige Monopolisten wie die Deutsche Telekom, wollen das nicht länger hinnehmen.

Und haben folgende Ideen: Wer Videos ruckelfrei sehen will, soll dafür extra bezahlen. Oder - vom anderen Ende her gedacht - Inhalteanbieter, die ihren Kunden guten Service bieten wollen, sollen gegen ein Entgelt Vorfahrt im Netz bekommen. Ohne dieses Geld, so argumentieren die Netzbetreiber, könnten sie den Ausbau der Leitungen nicht stemmen. Diese Vorstöße sind jedoch in der EU umstritten. Die Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema war bisher eher diffus. Mittlerweile aber hat sie sich auf ein gemeinsames Konzept verständigt, das aus ihrer Sicht einerseits für Netzneutralität sorgt, zugleich aber Innovationen nicht behindert. Es versucht, einen Kompromiss zwischen Neutralitätsprinzip und Innovation zu finden.

Merkel wünscht sich europaweit einheitliche Regelung

Demnach müssen die Netzbetreiber zunächst sicherstellen, dass alle Daten und Dienste mit der gleichen Geschwindigkeit verbreitet werden können. Darüber hinaus dürften dann nach Angaben des Wirtschaftsministeriums auch kostenpflichtige Spezialdienste mit einer höheren Geschwindigkeit angeboten werden. Voraussetzung sei allerdings, dass diese Dienste andere, kostenfreie Angebote nicht diskriminierten oder ersetzten und dass ausreichend Netzkapazität zur Verfügung stehe. Die Regulierungsbehörde soll die Einhaltung der Vorgaben nachträglich kontrollieren. Regierungssprecher Steffen Seibert wies Behauptungen zurück, Bundeskanzlerin Angela Merkel sei eine Gegnerin der Netzneutralität. "Das Gegenteil ist der Fall", sagte er. Merkel wolle lediglich sicherstellen, dass wichtige Spezialbereiche wie das fahrerlose Auto oder die Telemedizin weiter vorangetrieben werden. Deshalb müsse es auch rasch zu einer europaweit einheitlichen Regelung kommen.

Das könnte aber schwierig werden. Die EU-Kommission will zwar unterschiedliche Geschwindigkeiten im Netz erlauben. Das EU-Parlament dagegen hat sich bisher eindeutig für eine strenge Auslegung der Pflicht zur Netzneutralität ausgesprochen. Dafür gibt es auch gewichtige Gründe. Wenn ein Mehr-Klassen-Netz eingeführt würde, wären die großen Konzerne im Vorteil, weil sie sich die Zusatzgebühren locker leisten können. Kleinere Konkurrenten, die oft die Kreativität in den Markt bringen, hätten das Nachsehen.

Auch die Internetnutzer hätten mitunter Nachteile, zumal nicht sie, sondern die Betreiber entscheiden, was sie zu welchen Bedingungen sehen können - wirkliche freie Meinungsbildung ist das nicht. Und um zu entscheiden, welche Inhalte auf die Überholspur kommen und welche nicht, müssen die Datenströme bis auf die Ebene des Inhaltes hinunter inspiziert werden. Das wiederum dürfte bei den Geheimdiensten Begehrlichkeiten wecken.

Noch ist über die Position der Bundesregierung nichts Genaueres bekannt, entscheidend wird aber sein, ob und wie konkret die dehnbaren Begriffe ausgestaltet werden, die sich in den bisherigen Verlautbarungen finden. Wie man also sicherstellen will, dass niemand diskriminiert wird und wie festgelegt werden soll, dass ausreichend Netzkapazität zur Verfügung steht.

Das Argument der Netzbetreiber jedenfalls, ohne Zusatzgebühren leide der Ausbau der Netze, halten die Befürworter der Netzneutralität für nicht stichhaltig. Die Firmen hätten nur ihre Preise zu niedrig kalkuliert.

Eines steht schon jetzt fest: Der Netzausbau ist dringend nötig, nicht bloß um spannende US-Serien in High Definition gucken zu können, sondern auch um Zukunftsprojekte wie vernetzte Fabriken weiterzubringen. Und irgendjemand muss diesen Ausbau bezahlen. Ob das aber zwingend mit einem Netz unterschiedlicher Geschwindigkeiten verknüpft sein muss, ist davon unabhängig.

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SZ vom 06.12.2014/luk
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