Netzausbau:"Es braucht auch Stürmer"
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Markus Haas, der Chef von Telefónica Deutschland mit der Marke O2, beklagt die defensive Haltung der Politik und begrüßt, dass alle Mobilfunk wollen.
Interview von Caspar Busse und Helmut Martin-Jung
SZ: Herr Haas, Sie sind am Wochenende oft in den bayerischen Bergen. Haben Sie da überhaupt Handy-Empfang?
Markus Haas: Absolut, da gibt es eine hervorragende LTE-Abdeckung, dank der Masten auf dem nahen Wendelstein. Und da gibt es auch einen 5G-Feldtest mit dem Bayerischen Rundfunk, wir haben dort jedenfalls ein sehr schnelles Netz.
Das ist ja bei Weitem nicht überall in Deutschland so. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat gerade gefordert, dass es bald in jedem Dorf die neue Mobilfunkgeneration 5G geben muss.
In den kommenden zehn Jahren werden wir sicher eine sehr weitgehende 5G-Flächenabdeckung hinbekommen, aber nicht kurzfristig. Wir brauchen eine ehrliche öffentliche Diskussion und sollten uns nicht immer mit unrealistischen Vorschlägen überbieten, die technisch gar nicht machbar sind.
Brauchen wir denn in zehn Jahren wirklich ein flächendeckendes 5G-Netz?
Eine vollständige Abdeckung der Bevölkerung mit schnellem Internet brauchen wir, ja, eine 100-prozentige Flächenabdeckung ist aber unmöglich. Es wird nicht auf jeder kleinen Straße, in jedem Waldstück und in jeder Anwohnersackgasse 5G geben. Dafür müssten wir mehrere Hunderttausend Antennen bauen, das ist weder wertstiftend noch finanzierbar.
Was ist etwa mit autonomem Fahren oder Industrie 4.0, funktioniert das dann?
Ja. Wir brauchen dafür einen Technologiemix, auch mithilfe von Sensoren, Satelliten und anderen Technologien. Außerdem werden wir zunächst vor allem sogenannte Campus-Lösungen haben, also 5G-Netze für lokale Anwendungsgebiete, etwa für den Flughafen München oder für Industriebetriebe, zunächst also kleine geschützte Bereiche, die gut zu managen sind und wo wir lernen können. Danach kommt der flächendeckende Ausbau, voraussichtlich erst im kommenden Jahrzehnt. Mehr gibt die Verfügbarkeit von Technik und nutzbarem Spektrum schlichtweg nicht her. Das lässt sich nicht herbeiwünschen.
Die Kritik ist groß, schon heute gibt es noch viele weiße Flächen im Mobilfunk.
Wir hätten doch alle gerne überall volle Netzabdeckung. Wir dürfen jedoch nicht die Entwicklung der vergangenen 20 Jahren ausblenden. Die Betreiber mussten 60 Milliarden Euro alleine für die Lizenzen zahlen, die Akzeptanz für einen Ausbau in der Bevölkerung war lange nicht da, wir sollten auf Wunsch der Politik und der Bevölkerung gar nicht so viele Antennen bauen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich das geändert: Der Mobilfunk ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das ist gut.
Vorbehalte gibt es aber immer noch.
Nein, inzwischen unterstützen die Gemeinden und selbst die Grünen den Ausbau des Mobilfunks. Inzwischen soll es am liebsten ein gutes Netz im Wald geben, damit Pilzsucher über eine App ihre gesammelten Pilze bestimmen können. (schmunzelt)
Wann gibt es denn nun überall LTE, die derzeit modernste Technologie?
Wir investieren aktuell massiv in das LTE-Netz, bis 2021 wollen wir wie im Mobilfunk-Pakt vereinbart eine Abdeckung von 99 Prozent erreichen. Mein Gehalt wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit von 4G, also LTE, bezahlt werden, nicht von 5G. Erst 17 Millionen unserer insgesamt 45 Millionen Mobilfunkkunden haben überhaupt Endgeräte, die LTE-fähig sind - und damit sind wir führend. Alle anderen nutzen die aktuell schnellste Netztechnologie trotz intensiver Vermarktung noch gar nicht.
Bei 4G ist Deutschland international ja nicht gerade führend. Haben wir überhaupt noch eine Chance?
Da ist Deutschland ein wenig Sinnbild der EU: Nur mit Torhütern gewinne ich kein Spiel, es braucht auch Stürmer. Im Moment sind aber alle Institutionen im Verteidigungsmodus: Wir verteidigen unsere Wertesysteme und unsere Wirtschaftsordnung in der politischen Diskussion gegen den Populismus, unsere Währung in der Euro-Krise, die EU angesichts des Brexit. Alle politischen Entscheidungsträger beschäftigen sich derzeit vor allem mit Verteidigung, Zukunftsthemen werden kaum diskutiert. Das ist erschreckend und sehr schade - und ein Raubbau an unserer eigenen Zukunft. China oder die USA zum Beispiel schauen sich das von außen an und freuen sich, dass wir so mit uns beschäftigt sind.
Also sind wir abgeschlagen?
Nein, wir haben Zugriff auf alle Netztechnologien, wir haben auch starke europäische Anbieter dafür. Wir dürfen die Hürden jedoch nicht zu hoch legen, damit wir als Industriestandort nicht ins Hintertreffen geraten. Ich plädiere dafür, alle Möglichkeiten zu nutzen. Die Frequenzen werden im kommenden Jahr leider wieder versteigert und nicht einfach verteilt, aber die Zahlungsbedingungen, die Einstiegsgebote, die Auflagen, die Regulierung insgesamt können so gestaltet werden, dass Deutschland eine Chance hat. Wenn wir hier die Anreize richtig setzen, werden wir vorne dabei sein.
Die Regeln sollen ja noch im November festgelegt werden.
Ich glaube fest daran, dass alle Beteiligten einen Weg finden können. Ich bin seit zwanzig Jahren im Geschäft, und die öffentliche Diskussion war noch nie so intensiv. Bürger und Nutzer machen den Politikern erheblichen Druck in Sachen Netzausbau, die Dynamik ist heute eine andere. Damals hieß das Motto: "Hans im Glück", weil der Finanzminister Hans Eichel bei der Frequenzauktion 50 Milliarden eingenommen hatte. Die Zeche aber zahlen wir heute noch, weil wir unter dieser Finanzierungslast die Infrastruktur nicht da haben, wo sie sein könnte. Der Fehler sollte nicht noch mal gemacht werden.
Was muss anders werden?
Nur ein Beispiel von vielen bereits oft genannten: Die geplanten Minimumgebote in der Auktion sind viel höher als in bisherigen Auktionen, müssten aber deutlich niedriger angesetzt werden. Der Staat hat doch derzeit kein Einnahmeproblem. Wenn in drei Jahren gewählt wird, werden die Bürger sich fragen, ob die Netze besser ausgebaut wurden, nicht, wie viel bei der Frequenzauktion in den Staatshaushalt floss.
Und sonst?
Investoren tun sich schwer mit der Telekom-Branche, weil diese Industrie unter der Unsicherheit leidet, dass Regulatoren massiv in die Wertschöpfungskette eingreifen. Die Spielregeln dürfen sich nicht wieder mitten im Spiel ändern. Wir haben vor 20 Jahren Lizenzen in einem nicht regulierten Marktsektor gekauft und darauf vertraut. Dann haben wir acht Milliarden Euro für Lizenzen auf den Tisch gelegt. Sechs Jahre später kam die volle Breitseite der Mobilfunk-Regulierung. Erklären Sie das mal einem Investor!
Wie zufrieden sind Sie da mit dem zuständigen Minister Andreas Scheuer? Der ist vor allem mit dem Verteidigen der Autoindustrie sehr beschäftigt.
Er ist der erste Minister, der alle Bundesländer, alle zuständigen Ministerien und die Netzbetreiber zum Netzausbau an einen Tisch gebracht hat. Das hat bisher noch keiner geschafft. Auch die kommunalen Spitzenverbände waren da. Der Druck ist so groß, dass sich da keiner mehr wegducken kann. In der Vergangenheit fehlte der Wille, das zu lösen. Es geht nur zusammen.
Es wird auch häufig darüber geklagt, dass Mobilfunk in Deutschland zu teuer sei.
Die Preise sinken auch in Deutschland kontinuierlich: Wir haben hier vielleicht nicht den billigsten Preise pro Gigabyte. Aber gleichzeitig ist die Zahlungsbereitschaft in Deutschland so niedrig wie nirgends. Jeder schaut Hunderte Mal am Tag auf sein Smartphone, der durchschnittliche Umsatz eines Vertragskunden liegt aber nur bei 15 Euro im Monat - 50 Cent pro Tag für Mobilfunk. Und damit müssen wir unter anderem notwendige Netzinvestitionen und Lizenzkosten finanzieren.
Wie geht es weiter?
Schritt für Schritt erhöht sich die Datennutzung und damit auch die Zahlungsbereitschaft. Der Kunde will mehr Daten nutzen und wird für ein Plus an Leistung auch bereit sein, mehr zu zahlen. Das sehen wir heute schon. Andere europäische Länder haben eine Durchschnittsnutzung von zwölf Gigabyte pro Monat, in Deutschland sind es derzeit nur vier. In etwa fünf Jahren werden wir da auch sein, da bin ich mir sicher.