Süddeutsche Zeitung

Nach US-Börsensturz:Die Zeit des sorglosen Anlegens ist vorbei

Lesezeit: 3 min

Von Harald Freiberger

War da was? Zwei Tage nach dem Crash vom Montag hat sich die Aufregung an den Finanzmärkten scheinbar gelegt. Die New Yorker Börse erholte sich am Dienstag schon wieder und startete auch am Mittwoch ruhig in den Handel. Der Deutsche Aktienindex (Dax), ohnehin nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen, lag am Mittwoch ebenfalls im Plus. Mit etwas Abstand ist die Lage bei Weitem nicht so dramatisch, wie es am Montagabend und am Dienstag früh noch aussah.

Was aber geblieben ist, ist die Verunsicherung bei den Börsianern. "Es war ein Schuss vor den Bug, ein Weckruf für die Anleger, die sich zu sehr daran gewohnt hatten, dass an den Märkten immer alles glatt läuft", sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt des Münchner Fondsspezialisten Assenagon. Die Umstände für Investoren waren 2017 optimal: Niedrige Zinsen, kaum Inflation und eine weltweit boomende Konjunktur hatten zu immer höheren Aktienkursen geführt. Wer sich aber daran gewöhnt, dass es immer weiter aufwärts geht, bei dem macht sich Sorglosigkeit breit. Er investiert in immer risikoreichere Anlagen im Glauben, es werde schon nichts schiefgehen.

Es gibt an der Börse ein Barometer für diese Sorglosigkeit, und die heißt Volatilität. Sie drückt die Schwankungsanfälligkeit eines Aktienmarktes aus. Für jeden Aktienindex gibt es auch eine zugehörige Volatilitätskurve, für den Dax heißt sie V-Dax, für den US-Aktienindex S&P 500 Vix. Ihre Kurven waren 2017 so niedrig wie nie zuvor. Der Vix etwa pendelte zwischen einem Wert von 10 bis 15 Punkten. Das ist extrem wenig, der historische Mittelwert liegt bei rund 20.

Seit Montag aber ist es damit vorbei. Der Vix schlug bis auf 37 Punkte aus, am Mittwoch stand er bei etwa 30. Finanzprodukte, die auf die Volatilität wetteten, waren zu einem guten Teil sogar für den Absturz verantwortlich. Die Aufregung an den Börsen hat sich in den vergangenen Tagen gelegt, die Angst vor der Volatilität aber ist geblieben. Viele Experten hatten für 2018 schon vorhergesagt, dass die Kursschwankungen stärker werden als 2017. Bereits Anfang Februar ist es nun soweit, und die Mehrheit der Börsianer erwartet, dass die Schwankungen im Laufe des Jahres hoch bleiben werden. Die ruhigen, sorglosen Zeiten sind vorbei.

Schwankt der Dax oder schwankt er nicht?

Errechnet wird die Volatilität aus den Preisen für Optionen, die an der Börse verlangt werden. Eine Option ist eine Finanzwette, zum Beispiel darauf, dass der Dax eine festgelegte Schwelle nicht unterschreitet. Tut er dies doch, wird die Option fällig, das heißt: Der Anleger verliert Geld. Wenn die Akteure nun einen stärker schwankenden Dax erwarten, steigt das Risiko, dass die Option die festgelegte Schwelle unterschreitet. Deshalb steigt auch der Kaufpreis für die Option. Dies wird in den Volatilitäts-Index umgerechnet.

Ein Beispiel der Deutschen Börse: Liegt der V-Dax bei 20, bedeutet das bei einem Dax-Stand von 4000 Punkten, dass am Terminmarkt mit Schwankungen zwischen 3770 und 4230 Punkten gerechnet wird. Im Jahr 2017 stand der V-Dax über weite Strecken nahe 10. Die jüngsten Turbulenzen ließen ihn über 20 steigen. Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, geht davon aus, dass die Volatilität in den nächsten Monaten irgendwo dazwischen schwanken wird. Sie dürfte zwar nicht über längere Zeit den hohen Stand vom Montag erreichen, aber auch mit den weit unterdurchschnittlichen Werten der vergangenen Monate sei es wohl vorbei.

Für Anleger bedeutet höhere Volatilität auch ein höheres Risiko

Was bedeutet das für die Anleger, für die Börsen und für die Banken? Für die Profis an den Finanzmärkten ist es zunächst einmal positiv. Besonders die Investmentbanken, auch die Deutsche Bank, klagten zuletzt über das schwache Handelsergebnis für das vergangene Jahr. Das hatte mit der geringen Volatilität zu tun: Wenn die Kurse an den Börsen kaum schwanken, müssen sich Investmentfonds, Versicherungen und Unternehmen auch nicht groß dagegen absichern - zum Beispiel über Optionen. Das bedeutet, dass sie die Produkte der Investmentbanken weniger nachfragen. "Kursschwankungen sind für Investmentbanken wie der Wind beim Segeln", sagt Chefvolkswirt Burkert. Steigt nun die Volatilität, brauchen die Kunden wieder mehr Absicherungsstrategien. Das dürfte die Gewinne der Banken anziehen lassen - und auch den Umsatz an den Börsen.

Für Anleger sind stärkere Schwankungen an den Börsen dagegen nicht positiv. "Sie signalisieren ihnen, dass sie stärker auf der Hut sein müssen", sagt Chefvolkswirt Hüfner. Privatanleger sollten prüfen, ob sie in ihrem Depot zu riskant unterwegs sind, ob die Aktienquote vielleicht zu hoch ist. Der Crash vom Montag habe gezeigt, dass es mit den Kursen nicht ständig nach oben gehen kann. Grundsätzlich sieht Hüfner das Klima für Aktien aber weiter positiv: die Konjunktur läuft, die Unternehmen erzielen gute Gewinne. Aber: Die Lage ist nicht mehr so ungetrübt positiv wie 2017. "Der Aufschwung befindet sich in seiner Endphase", sagt Hüfner.

Ali Masarwah von der Fonds-Ratingagentur Morningstar sieht die höheren Schwankungen als nicht dramatisch an. "Die niedrige Volatilität der Vergangenheit war unnatürlich, jetzt nähern wir uns wieder normalen Zeiten", sagt er. Langfristig orientierte Anleger, die mit Aktien für ihre Altersvorsorge sparen, sollten sich von Eintrübungen wie in den vergangenen Tagen nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Am grundsätzlich positiven Klima für Aktien hat sich nicht viel geändert", sagt Masarwah. Man könne in den Kursrückgängen auch eine Chance für neue Käufe sehen.

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Quelle:
SZ vom 08.02.2018
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