Süddeutsche Zeitung

Silicon Beach:Im virtuellen Rausch

Lesezeit: 3 min

Mark Zuckerberg präsentiert Virtual Reality als die nächste ganz große Sache. Das wird sie auch werden - angesichts der vergangenen Monate ist aber die Frage erlaubt: Ist das echte Leben nicht auch ziemlich cool?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Mark Zuckerberg könnte in diesem Moment eine Wasserpfeife rauchende Raupe sein. Oder ein weißer Ritter, der rückwärts redet. Oder Alice im Wunderland, drei Meter groß. Er will aber Mark Zuckerberg sein, also sieht der Avatar in seinem Virtual-Reality-Metaversum ganz genauso aus wie er, inklusive schwarzer Jeans und schwarzem Pulli. Es mag psychologisch unfassbar gesund sein, wenn einer bei grenzenlosen Möglichkeiten einfach er selbst sein will; es nimmt allerdings dem, was der Facebook-Gründer und Meta-Chef (er hat den Konzern umbenannt) vorgestellt hat, jeden Zauber.

Zuckerberg zeigte nämlich, wie Menschen aus der Realität in Virtual Reality entfliehen können, und das ist erst einmal mehr Opium fürs Volk, als es Religionen je gewesen sind. Wenn wir, die Meta-Kunden, irgendwann in der Zukunft wegen unerschwinglicher Wohnpreise in 15-Quadratmeter-Kabuffs leben, die wegen der Fast-Unbewohnbarkeit des Planeten aufgrund des Klimawandels in Höhlen stecken, und wir nur rationiertes Essen kriegen: wäre das schön, in der virtuellen Realität so tun zu können, als würde das Leben noch ein klein wenig Spaß machen?

Okay, klingt dystopisch. Aber wer will einem das verdenken angesichts dessen, was Zuckerberg so alles präsentiert hat in den 17 Facebook-Jahren - und was letztlich dabei rausgekommen ist?

Es geht nicht um Facebook-Vergangenheit und Meta-Zukunft, sondern um Virtual Reality ganz allgemein. Es ist seit ein paar Jahren das Buzz-Thema im Silicon Valley, das nächste große Ding, weil es dieses andere große Ding ersetzen könnte, das in den vergangenen Jahren unser Leben geprägt, bestimmt, vielleicht sogar versklavt hat: der Bildschirm, von Computer zu Laptop zu Telefon.

Die virtuelle Welt kann echte Erlebnisse nicht ersetzen

Wer Virtual Reality bereits ausprobiert hat, der hat faszinierende Sachen erlebt: wie man in der virtuellen Welt gegen jemanden boxt und dabei im wirklichen Leben die Couch vollschwitzt. Wie beschämend es sein kann, VR-Pornos (die Branche ist bei technischen Disruptionen stets vorne dabei) zu erleben. Wie grandios, mit einem Freund während der Quarantäne so zu tun, als säße man gemeinsam am Spielfeldrand beim Basketballspiel. Oder beim Konzert eines Künstlers scheinbar in dessen Wohnzimmer zu sitzen. Oder am Rand eines gerade ausbrechenden Vulkans zu stehen.

Alles prima. Doch in Zuckerbergs Vision ist das lediglich Kinderkram - so wie Chatrooms, Webseiten mit Nacktfotos und Radiostreaming nur Spielereien waren, wegen denen viele Leute das Internet für kurzlebige Spinnerei hielten. Wer Zuckerbergs Präsentation noch einmal verfolgt und darüber hinwegsieht, dass man sich Zuckerberg selbst unter Einfluss von Magic Mushrooms nicht als irgendwas anderes vorstellen kann als, nun ja, Mark Zuckerberg: Es geht bei diesem sogenannten Metaversum, mit dem ein kollektiver virtueller Raum gemeint ist, um ein vollumfassendes Eintauchen. Doch ist das wirklich cool, gerade angesichts dessen, was viele in den vergangenen Monaten erlebt haben?

Zuckerbergs Beispiel ist ein Konzert in L.A., das jemand von Tokio aus besuchen kann. Klar ist das cool - und freilich können die Leute von Tokio aus Merchandise kaufen. Wer aber ein paar Monate in Isolation verbracht hat, der weiß, wie großartig es sein kann, während einer Show von DJ Steve Aoki angeschwitzt mit Bier überkippt zu werden - und Gänsehaut zu bekommen, weil der Mensch neben einem den eigenen Unterarm berührt und andeutet, womöglich an einem Kuss interessiert zu sein. Oder in einer Bar eine echte Person mit echten Falten, Speckrollen und nicht perfekten Zähnen zu sehen - und nicht die gefilterte Version. Oder wie aufregend es ist, auf einem echten Berg zu stehen und Angst zu haben.

So toll Eskapismus sein kann: Man kehrt beim Ablegen der Sensoren zurück ins Leben, und wer behauptet, dass gerade junge Leute sowieso mehr Zeit in der digitalen Welt verbringen, sollte sein Kind mal an den Spielfeldrand beim Eishockey setzen oder mit ihm zu einer Klippe am Meer fahren.

Virtual Reality wird eine große Sache werden - allein deshalb, weil Silicon-Valley-Visionäre es sagen und wir darauf konditioniert sind, alles zu schlucken, was sie uns vorsetzen. Die einzige Rettung könnte sein, dass wir, wie manche Verschwörungstheoretiker behaupten, längst in einer Simulation leben. Aber davon weiß, psssst, auch Zuckerberg nichts - das werden wir erst kurz vor Weihnachten erfahren; dann erscheint der neue Matrix-Film. In echten Kinosälen, wo die Person hinter einem mit Popcorn wirft, das Paar vor einem knutscht und die daneben dauernd reden. Herrlich, diese Realität.

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