Süddeutsche Zeitung

Lichtblick in der Krise:Industrie feiert deutliches Auftragsplus

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Selbst Experten sind überrascht: Die Auftragseingänge in der Industrie sind deutlich gestiegen. Doch ein Aufschwung liegt noch in weiter Ferne.

Thomas Öchsner

Die schlimmste Wirtschaftskrise seit acht Jahrzehnten scheint ihren Tiefpunkt erreicht zu haben. Die deutsche Industrie hat im Mai zum dritten Mal hintereinander mehr Bestellungen erhalten und verzeichnete das größte Auftragsplus seit fast zwei Jahren. Damit mehren sich die Zeichen für eine langsame Erholung der Wirtschaft.

Es geht um eine Zahl, die so kaum ein Experte erwartet hatte und die die Laune der Anleger an der Börse schlagartig verbesserte: Die Unternehmen sammelten im Mai 4,4 Prozent mehr Aufträge ein als im Vormonat. Dies teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Analysten hatten im Durchschnitt lediglich mit einem leichten Plus von 0,5 bis 0,8 Prozent gerechnet.

Auch bei den verschiedenen monatlichen Befragungen deutscher Firmen hatte sich bereits seit einigen Wochen abgezeichnet, dass sich die Stimmung aufhellt. Entsprechend positiv fielen manche Kommentare aus: "Der Weltuntergang ist abgesagt worden, und die Unternehmen fangen an, ihre Lager wieder aufzufüllen", sagte Ralph Solveen von der Commerzbank.

Warnung vor zu viel Optimismus

Schaut man sich die Zahlen des Ministeriums genauer an, zeigt sich, dass der überraschend starke Zuwachs auch mit der Abwrackprämie zusammenhängt. So wird der dritte Anstieg der Auftragseingänge in Folge vor allem durch die Autoindustrie beflügelt. In dieser Branche legten die Bestellungen mit plus 9,8 Prozent besonders stark zu. Dies zog auch die Zahlen der Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Anlagen mit einem Zuwachs von 5,9 Prozent überproportional stark nach oben. Vor allem die Industrie hatte im Winterhalbjahr unter der weltweiten Rezession gelitten und erhebliche Umsatzeinbußen verbucht.

Wie das Wirtschaftsministerium weiter mitteilte, nahmen die Bestellungen aus dem Ausland mit einem Plus von 5,2 Prozent stärker zu als die aus dem Inland, die um 3,9 Prozent stiegen. Besonders kräftig zogen die Aufträge aus der Nicht-Eurozone an. Analysten führten dies auf den Aufschwung in Asien zurück, der sich langsam abzeichne. Die Ökonomen der Landesbank BayernLB rechnen damit, dass dieser Trend anhält: In der Finanzkrise seien viele Aufträge, vor allem aus dem Ausland, teils überstürzt storniert oder aufgeschoben worden. "Hier sollte sich ein gewisser Nachholbedarf ergeben."

Fachleute warnten allerdings vor zu viel Optimismus: "Es sieht im Moment so aus, dass wir das Schlimmste überstanden haben", sagte Sebastian Weber, Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der Süddeutschen Zeitung. Er rechnet damit, dass Deutschland auch im zweiten Quartal 2009 eine negative Wachstumsrate mit minus 0,5 bis 0,8 Prozent bekommen wird. "Die jüngsten Zahlen deuten auf eine weniger schlechte Entwicklung hin als bisher erwartet." In den ersten drei Monaten war das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorquartal um 3,8 Prozent gesunken. Weber spricht von einer "langsamen Stabilisierung", die in eine Phase der Stagnation münde. "Ich sehe keinen großen Konjunkturaufschwung und fürchte eher, dass die Wirtschaft vom Ende des Jahres und auch 2010 über in deutlicher Nähe der Nulllinie vor sich hindümpelt."

Der Konjunkturforscher begründete dies vor allem mit der Situation in anderen EU-Staaten. Fast zwei Drittel der deutschen Exporte gingen in die EU. In einigen EU-Ländern wie Großbritannien oder Spanien sei die Lage aber so schlecht, dass deutsche Firmen von dort "nicht den Auftragsanstieg erwarten können, den sie benötigen".

"Tiefpunkt im Februar"

Ähnlich vorsichtig äußerten sich auch andere Experten: Man dürfe nicht allzu sehr jubeln, sagte Lothar Hessler von der Privatbank HSBC Trinkaus. Er zeigte sich aber davon überzeugt, "dass wir den Tiefpunkt im Februar gesehen haben."

Der Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, warnte davor, das "zarte Pflänzchen Konjunktur" jetzt nicht durch eine übergroße Zurückhaltung der Banken auszutrocknen. Viele Unternehmen brauchten für die neuen Aufträge Kredite zur Vorfinanzierung. Die Geldinstitute sollten bei der Kreditvergabe deshalb jetzt nicht auf die stark gesunkenen Umsätze in der Vergangenheit schauen.

Wie dramatisch die Folgen der Wirtschaftskrise immer noch sind, zeigt der Jahresvergleich. So verringerten sich die Auftragseingänge im April/Mai gegenüber diesen beiden Monaten im Vorjahr um 33,5 Prozent. Verglichen mit den Boomzeiten Ende 2007 beläuft sich das Minus sogar auf etwa 40 Prozent.

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SZ vom 08.08.2009
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