Süddeutsche Zeitung

Altersvorsorge:Lebensversicherung: Wenn der Vertrag verkauft wird

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Große Lebensversicherer haben Vertragsbestände an Abwickler verkauft. Auch die Allianz denkt darüber nach. Die steigenden Zinsen werden an diesem Trend nichts ändern.

Von Christian Bellmann, Hamburg

Wer vor 20 oder 30 Jahren eine Lebensversicherung abgeschlossen hat, hatte keinen Grund zu zweifeln, dass der Vertrag bis zum Ende der Laufzeit bei genau der Gesellschaft bleiben würde, mit der er den Vertrag abgeschlossen hat. Doch neue Aufsichtsregeln und die Niedrigzinsphase haben vieles verändert. Bei einigen Konzernen kam der "Run-off" in Mode, also der Verkauf von Vertragsbeständen an spezielle Abwicklungsunternehmen. Die Generali verkaufte vor fünf Jahren die Generali Lebensversicherung an die Run-off-Gesellschaft Viridium, die mehrheitlich dem britischen Finanzinvestor Cinven gehört. Mehr als vier Millionen Kunden sind betroffen. Anfangs war der Aufschrei groß. Aber inzwischen sind solche Deals schon fast Routine.

Arag, Zurich, Axa und andere haben Bestände verkauft, wenn auch nicht in der Größenordnung. Jetzt, da die Zentralbanken die Zinsen erhöhen und damit bei den Versicherern ein wesentlicher Grund dafür entfallen ist, sich von Beständen zu trennen, stellt sich die Frage: Geht der Run-off zu Ende?

Eine - zumindest indirekte Antwort - lieferte im Februar Oliver Bäte, Vorstandschef des Allianz-Konzerns. Wenn es darum gehe, Bilanzrisiken zu verringern und Kapital besser zu nutzen, prüfe der Konzern sämtliche Optionen. "Es gibt keine heiligen Kühe", betonte Bäte mit Blick auf den deutschen Markt. In den USA und in Ländern wie Südkorea, Japan, Taiwan, Belgien und Großbritannien hat der Konzern schon Altverträge an Abwickler verkauft oder über weitreichende Rückversicherungs-Deals mit Investoren sein Risiko und den Kapitaleinsatz reduziert. Zudem gibt es Berichte über Run-off-Pläne in Italien.

Auch wenn die Allianz betont, dass es im Moment keine entsprechenden Pläne für Deutschland gibt, kommen die bewusst vage gehaltenen Äußerungen von Allianz-Chef Bäte bei Verbraucherschützern nicht gut an. Sollte sich die Allianz tatsächlich dazu entschließen, wäre das nicht nur ein herber Schlag für treue Kunden, so der Bund der Versicherten (BdV). "Ein Kunde zahlt über Jahrzehnte in eine Lebensversicherung, die ihm als sichere Altersvorsorge verkauft wurde. Zunehmend gewinnt er den Eindruck, dass davon die Aktienwerte des Unternehmens mehr profitieren als sein Vertrag", sagte BdV-Vorstand Stephen Rehmke. "Und am Ende landet der bei einer Abwicklungsgesellschaft." Ein solcher Schritt wäre auch ein schlechtes Signal für die Versicherungsbranche in der Diskussion um eine Reform der geförderten Altersvorsorge, bei der sie weiterhin eine Rolle spielen will.

Tilo Dresig, Chef des Run-off-Spezialisten Viridium, kann die Kritik nicht nachvollziehen. Kunden profitierten von den neuen IT-Systemen, mit denen ihre Verträge verwaltet werden, und von niedrigeren Kosten. So fielen die Vertriebskosten komplett weg, weil die Spezialisten kein Neugeschäft suchen. Dresig gestand allerdings ein, dass einige Kunden bei der Übertragung der Verträge auf die neue IT mit Problemen wie der Nichtzahlung von Leistungen konfrontiert wurden. Hierbei handele es sich um Einzelfälle.

Fest steht: Der Run-off-Markt ist in Bewegung, weitere Deals bahnen sich an. Während die Zahl der Lebensversicherer in Deutschland von 120 im Jahr 1999 auf 80 im Jahr 2021 fiel, gibt es nach Angaben der Ratingagentur Assekurata inzwischen zwölf Gesellschaften, die sich im externen Run-off befinden oder deren Abwicklung die Konzerne intern organisieren.

Dass es für den Run-off-Markt nur noch wenig Potenzial gebe, wenn die größeren Anbieter ihre Bestände erst einmal verkauft haben, sei eine Fehleinschätzung, glaubt Assekurata-Chef Reiner Will, einer der besten Kenner des Marktes. "Unternehmensgröße ist nicht unbedingt ein Indikator", sagte er bei einer Fachkonferenz der SZ. Die gestiegenen Zinsen haben zwar dafür gesorgt, dass die Lebensversicherer nicht mehr so stark unter Druck stehen.

Viele weitere Vorteile machen den Verkauf von Beständen aber weiterhin attraktiv. Die Entlastung bei den Kapitalanforderungen, die von den Aufsichtsbehörden verlangt werden, ist die eine Seite. Die steigenden Kosten für die Modernisierung der IT spielen ebenfalls eine große Rolle. "Die Zinsen ändern die Situation nicht, denn die grundlegenden Probleme sind woanders", sagte Martin Brown, Vorstand bei der Ergo, mit Blick auf stark in die Jahre gekommenen IT-Systeme. Das sich immer mehr Versicherer, vor allem kleine und mittelgroße Gesellschaften, für einen externen Run-off entscheiden könnten, hat auch damit zu tun, dass sie im Neugeschäft schwächeln. Das hat zur Folge: Die Verwaltung von insgesamt schrumpfenden Beständen wird immer teurer. Und eine neue IT können sie sich auch nicht leisten. Da ist es besser für sie, wenn der Käufer der Vertragsbestände das übernimmt.

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