Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelindustrie:Wie Monsanto am perfekten Gemüse arbeitet

Lesezeit: 4 min

Von Kathrin Werner, Woodland

John Purcell wuchtet die Zwiebel empor. Ihre Haut glänzt braun-golden und makellos. Sie ist groß wie ein Handball, schwer wie ein Stein und von vollkommener Rundung. Aber das Wichtigste ist, was man nicht sieht: Sie ist schon ein halbes Jahr alt. Die Knolle kann monatelang im Regal liegen ohne Druckstellen, Schimmel oder Schrumpel. Allein würde die Natur so eine perfekte Zwiebel nicht zustande bringen. Monsanto hilft. "Wir müssen uns fragen, wie wir Mehrwert in die Zwiebel bringen können", sagt Purcell.

Purcell ist Chef der Gemüseforschung bei Monsanto und damit ein mächtiger Mann. Der Konzern, der vor allem für genmanipulierten Futtermais und Unkrautvernichtungsmittel bekannt ist, ist auch der größte Hersteller von Saatgut für Gemüse in aller Welt. Purcell ist Herr über ein globales Netz an Gewächshäusern und Laboren, in denen 4000 Forscher daran arbeiten, Obst und Gemüse zu verbessern.

Monsanto entscheidet, welche Wassermelone in Zukunft in den Supermärkten liegt, wie die Idealtomate schmeckt und welche Gurke es verdient, in Gewächshäusern tausendfach aufgezogen zu werden. Und andersrum: Wenn der Agrarkonzern das Interesse an ihnen verliert, können manche Möhren vom Markt verschwinden. Monsanto bestimmt, was wir essen - weltweit.

Das Zentrum der globalen Obst- und Gemüseforschung des US-Konzerns ist hier im kalifornischen Woodland eine gute Stunde östlich von San Francisco, wo Purcell gerade die Riesenzwiebel über seinen Kopf stemmt. Das Gelände ist knapp 90 Hektar groß, ein Gewächshaus steht neben dem anderen, die weiten Felder sind bereit für die nächste Aussaat der Testpflanzen. In neonbeleuchteten Laboren analysieren die Biologen die DNA von Paprika und Kürbissen. Purcells Team hat neben dem langlebigen, goldrunden Ungetüm auch eine Zwiebel namens Ever Mild erfunden, die nicht in den Augen brennt. Hinzu kommen unter anderem Bella Fina, eine mundgerechte Mini-Paprika, die super süße Melone Melorange und Frescada, eine Kreuzung aus Eisbergsalat und römischem Salat, die etwa 75 Prozent mehr Vitamin C enhält als normaler Eisberg-Salat. Zehn Jahre haben Monsantos Biologen an einem Brokkoli namens Beneforté gearbeitet, der gesünder und nährreicher ist als ohnehin schon gesunder Brokkoli. 181 Millionen Dollar gibt Monsanto im Jahr für Gemüsewissenschaft aus. Viel Geld, aber ein Bruchteil des gesamten Forschung- und Entwicklungsbudgets von 1,5 Milliarden Dollar.

"Genmanipulation spielt bei Gemüse nur eine sehr geringe Rolle", sagt Purcell. Es gibt überhaupt nur acht Pflanzen, für die man genmanipuliertes Saatgut kaufen kann: Mais, Sojabohnen, Baumwolle, Kürbis, Zuckerrüben, Raps, Papaya und das Futtermittel Alfalfa. Der ganze Rest, inklusive Beneforté, Ever Mild und Frescada, ist das Ergebnis konventioneller Zucht. Natürlich würde Gentechnik bei der Erfindung der perfekten Tomate helfen, sie lohne sich aber nicht, erläutert Purcell. Jede Entwicklung einer genetisch manipulierten Eigenschaft, etwa eine Resistenz gegen einen Unkrautvernichter wie Glyphosat, kostet mindestens 100 Millionen Dollar und dauert durchschnittlich zehn Jahre. Das rechnet sich nur, wenn der Konzern die Gen-Saat massenhaft verkaufen kann, wie etwa bei Mais und Sojabohnen, die allein in den USA auf jeweils etwa 35 Millionen Hektar wachsen - fast jeder Hektar genmanipuliert.

Gemüse und Obst sind ein kleinteiliger Markt. "So viele Länder, so viele Arten", sagt Purcell. Monsanto verkauft mehr als 2000 Gemüsesorten an mehr als 160 Länder. Die Welt ist sich nicht einig, wie die Idealtomate schmeckt, die Italiener mögen sie saurer für ihre Soßen, die Amerikaner lieben sie fast so süß wie Wassermelone, sie essen sie roh als Snack zwischendurch. Jede der Gemüsearten müsste einzeln genmanipuliert werden, mit den entsprechenden Kosten. In jedem einzelnen Land müsste der Konzern außerdem Ungefährlichkeitsstudien durchführen und sich mit den Behörden über Gentechnik auseinandersetzen - und würde die Genehmigung oft ohnehin nicht bekommen, zum Beispiel im Gentechnik-feindlichen Europa. Hinzu kommt, dass viele Verbraucher kein genmanipuliertes Essen kaufen wollen. Und bei Obst und Gemüse treffen sie ihre Entscheidungen selbst und nicht so indirekt wie etwa bei Futtermais.

Bei Gemüse ließen sich die Investitionen in Genmanipulation einfach nicht wieder hereinholen, sagt Purcell: "Es ist entmutigend." Ohne Gentechnik ist der Markt dafür noch größer für Monsanto: Der Konzern verkauft an Biobauern genauso wie an Agrargroßindustrielle. Er hat in den vergangenen Jahren etliche Saatguthersteller übernommen, darunter im Jahr 2005 für 1,4 Milliarden Dollar den Marktführer Seminis. Monsanto ist längst nicht der einzige Anbieter in dem 7,8 Milliarden Dollar schweren und schnell wachsenden Gemüsesaat-Weltmarkt. Dem Rechercheinstitut Mordor zufolge kommt der Konzern auf einen Anteil von 11,3 Prozent. Bei einzelnen Gemüsesorten, etwa bei Gurken, liegt der Marktanteil deutlich höher. Und die Zahl der Anbieter sinkt. In den Siebzigern gab es Tausende, heute gehören fast alle zu Monsanto oder den anderen Konzernen wie Syngenta oder Bayer.

Je mächtiger Monsanto wird, desto schwerer wird es für die Konkurrenz

Gerade übernimmt der Chemie- und Agrarkonzern Bayer das US-Unternehmen. Wenn die Kartellbehörden die Übernahme genehmigen, könnte zum Ende dieses Jahres aus zwei der größten Anbieter einer werden - mit noch größerer Marktmacht. Bayer hat selbst eine große Gemüse-Sparte, das kalifornische Forschungszentrum des deutschen Konzerns ist nur eine halbe Autostunde von Monsantos Anlage in Woodland entfernt. Einige Marktbeobachter glauben, dass die Kartellbehörden eine solche Ballung bei Gemüsesaatgut nicht erlauben werden. Die Abteilungen gelten als mögliche Kandidaten, die Bayer und Monsanto verkaufen werden, um die Genehmigung zu erhalten.

Purcell betont, wie sehr Monsanto daran gelegen sei, die Vielfalt zu erhalten - allein schon, weil es für neue Krankheiten neue Kreuzungen braucht. Der Konzern betreibt allein in Woodland vier verschiedene Samenbanken. In meterhohen Regalen lagern Zigtausende Samen in Papiertütchen, ein QR-Code und lange Kennziffern verraten, welche Pflanzen gekreuzt wurden. Die meisten Samen hat Monsanto nie vertrieben, sondern hält sie nur für künftige Kreuzungen bereit.

Bauern und Umweltgruppen genügt das nicht, sie sorgen sich um biologische Vielfalt und damit um Lebensmittelsicherheit. Je mächtiger Monsanto wird, desto schwerer wird es für die Konkurrenz - das zeigt das Geschäft mit Soja und Mais. Monsanto patentiert die Erfindungen und verhindert, dass Züchter sie weiterentwickeln. An andere Saatgut-Anbieter lizenziert der Konzern sie. Je beliebter Monsantos Gemüse bei Kunden ist, desto eher verschwinden andere Sorten. Was die Welt isst, wird sich immer ähnlicher, analysiert Philip Howard, Professor an der Michigan State University, in seinem neuen Buch: "Weniger Vielfalt bei Saatgut erhöht die Gefahren von Dürren, Plagen und anderen Problemen."

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Quelle:
SZ vom 13.04.2017
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