Süddeutsche Zeitung

Verluste an der Börse:Der Börsen-Rutsch ist ein glücklicher Zustand

Lesezeit: 3 min

Fallende Kurse sind schlecht für Aktionäre, aber gut für die Welt als Ganzes. Denn dahinter steckt eine positive Ursache: steigende Zinsen.

Kommentar von Harald Freiberger

Das dreifache A (Triple-A) verheißt in der Finanzwelt eigentlich Gutes: Es ist die beste Note, die Ratingagenturen an Unternehmen und Staaten vergeben. Es steht für die höchste Bonität eines Schuldners und signalisiert einem Anleger, dass sein Geld dort ziemlich sicher ist. Zurzeit allerdings erklingt an den Finanzmärkten ein anderes dreifaches A, ein sehr negatives: Absturz, Angst, Alarmstimmung.

Neun Jahre lang ging es mit Aktien fast ununterbrochen nach oben, in der vergangenen Woche brachen die Kurse ein. Damit hat sich die Wahrnehmung geändert: Es herrschen Nervosität und Unsicherheit, es ist auch die Zeit der Untergangspropheten, die sagen, sie hätten es schon immer gesagt, alles werde böse enden. Bis vor Kurzem dagegen war in Fachkreisen ein Wort mit G das am häufigsten verwendete: Goldilocks, jener nach dem Märchen "Goldlöcken" benannte paradiesische Zustand, in dem alles genau passt - starke Konjunktur, niedrige Zinsen, mäßige Inflation, boomende Aktienmärkte. Doch auf einmal ist der Blick auf die Finanzmärkte extrem negativ.

Deshalb ist es an der Zeit, darauf zu schauen, was hinter diesem Crash steckt und wohin er möglicherweise führt. Dann stellt sich nämlich heraus, dass die Unruhe eine positive Ursache hat und heilsame Wirkung entfalten kann.

Die Ursache war ein Wort, das nicht mit A beginnt, sondern mit Z: Zinsangst. Auf einmal stellen die Akteure an den Finanzmärkten fest, dass die Zinsen demnächst dann doch mal steigen könnten, und das vielleicht sogar deutlicher, als man es annahm. Man hatte sich nämlich an den Nullzins gewöhnt, an die Politik des billigen Geldes, mit der Notenbanken den Totalabsturz nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 abwendeten und von der sie seitdem kaum heruntergekommen sind - in den USA nur leicht, in Europa überhaupt nicht. Sie waren damit, auch das muss man sagen, nicht erfolglos: In allen Industrieregionen boomt die Konjunktur, in den Schwellenländern, in den USA, sogar im geplagten Europa. Boomende Wirtschaft bei niedrigen Zinsen ist das Klima, in dem Aktien gedeihen.

Niedrige Zinsen mit negativen Folgen

Doch nun auf einmal Zinsangst: Die US-Konjunktur befindet sich am Rande der Überhitzung, die Löhne steigen wie seit Jahren nicht, es droht anziehende Inflation, auf die die US-Notenbank Fed mit schneller steigenden Zinsen reagieren müsste. Das verteuert Kredite für Unternehmen und belastet ihre Gewinne, gleichzeitig werden Anleihen im Vergleich zu Aktien wieder attraktiv. Daher die Kurseinbrüche, daher die schlechte Stimmung.

Aber ist es nicht eigentlich gut, wenn die Zinsen steigen? Beendet es nicht einen Zustand, der schon viel zu lange anhält und viele negative Folgen hat? Die Nullzins-Politik der Notenbanken ist verantwortlich dafür, dass sichere Anlagen wie Staats- und Unternehmensanleihen guter Schuldner (mit dreifachem A!) keine Rendite mehr abwerfen, dass Sparer für ihr Geld bei der Bank keine Zinsen mehr erhalten, dass Banken und Großinvestoren für kurzfristig angelegtes Geld die absurde Einrichtung eines Negativzinses zahlen müssen, dass sich die Investoren auf bleibende Werte wie Immobilien stürzen, was wiederum dazu führt, dass sich in Ballungsräumen Normalverdiener kein Wohneigentum mehr leisten können.

Höchste Zeit für die Zinswende

Wenn die Zinsen nun steigen, bedeutet dies auch, dass der unnatürliche Zustand der vergangenen Jahre abgeschwächt wird. Das ist eine in vielerlei Hinsicht positive Nachricht, die man nicht mit Angst und Alarmstimmung aufnehmen muss. Schlecht ist der Einbruch nur für Aktienanleger, aber nicht für die Welt als Ganzes. Nach dem Boom der vergangenen Jahre können Aktionäre die Korrektur auch verkraften, vorausgesetzt, sie wächst sich nicht zu einem veritablen Krach aus. Darauf deutet aber derzeit nichts hin.

Wann, wenn nicht jetzt, da die Wirtschaft überall boomt, können die Zinsen angehoben werden? Die Notenbanken werden beim Bremsen ohnehin vorsichtig genug sein und die Märkte nicht verschrecken. Es ist höchste Zeit für die Zinswende. Die Konjunktur befindet sich auf dem Höhepunkt, und wenn sie sich wieder abschwächt, brauchen die Notenbanken auch einen Puffer, um die Zinsen senken und die Wirtschaft ankurbeln zu können. Die niedrigen Zinsen haben die Verschuldung der Staaten weiter wachsen lassen, auch da ist es Zeit für eine Wende.

Der Preis dafür ist, dass es an der Börse künftig ruppiger zugeht, dass die Kurse stärker schwanken, dass sie auch einmal deutlich fallen. Es ist ein Preis, den man in Kauf nehmen sollte. Man muss sich den Crash als glücklichen Zustand vorstellen.

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Quelle:
SZ vom 12.02.2018
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