Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Deutschlands Zukunft braucht mehr Freiheit

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Eine Regierung mit Grünen und FDP kann zu einem Kraftzentrum für die Erneuerung Deutschlands werden. Die einen versöhnen Klimaschutz und Industrie, die anderen sorgen für die Freiheit, die erst Innovationen ermöglicht.

Von Marc Beise

"Das ist alles schön und gut, junger Mann, aber denken Sie daran: Wasser fließt nicht bergauf." Sagte einst der Professor zu dem jungen Assistenten, der sich im Seminar voller Inbrunst für grundlegende politische und wirtschaftliche Reformen stark gemacht hatte. Heute ist der junge Assistent etwas älter und beobachtet mit großer Neugier, wie die deutsche Politik gerade versucht, den Mehltau mindestens der letzten Merkel-Jahre zu überwinden.

Nachdem die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler - verständlich! - der Kanzlerinnen-Partei CDU überdrüssig geworden ist und diese wie zum Beweis einen grottenschlechten Wahlkampf abgeliefert hat, sprechen Herz und Verstand dafür, dass nun eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen an die Macht kommen soll. Klimawandel, Wohnungsnot, Bildungsarmut, soziale Ungerechtigkeit, Digitalisierungsrückstand, industrielle Schwäche - Baustellen gibt es viele.

Leider sind mindestens die SPD, aber auch weite Teile der Grünen davon überzeugt, dass in den letzten Jahren deshalb so viel liegen geblieben ist, weil die freien Kräfte des Marktes schalten und walten konnten, wie sie wollen. Und leiten daraus den Anspruch ab, dass jetzt der Staat ran müsse: weitere Sozialleistungen, Mietregulierungen, höhere Steuern, all das und viel mehr.

Nur leider stimmt schon die Ausgangsüberlegung nicht ganz: Aus einigen Bereichen, gewiss, hat sich der Staat zeitweise zurückgezogen, etwa der Regulierung der Finanzmärkte, in anderen aber glänzt er weiterhin durch Überregulierung: etwa im Verwaltungs- und im Arbeitsrecht. Schon mal versucht, eine Firma zu gründen? Eine Abteilung umzuorganisieren? Man muss sich nur mal mit Mittelständlern unterhalten, dem viel gerühmten "Rückgrat der deutschen Wirtschaft", um zu erfahren, was alles ihre Innovationskraft zunichte macht.

Es ist ein großer Trugschluss zu glauben, dass die vielbeklagten Defizite unmittelbare Folgen eines Turbokapitalismus seien. In Wirklichkeit sind sie eine Folge von ambitionsloser Politik, verbunden mit knallhartem Lobbyismus und auch fehlender Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich wirklich umzustellen.

Erzählt am Beispiel Auto: Die deutschen Autobauer haben ja den Innovationszug nicht nur deswegen verschlafen, weil ihre Manager engstirnig waren, sondern auch weil die Käufer genau die Autos haben wollten, die jetzt am Pranger stehen. Und übrigens: Viele Deutsche wollen sie noch immer. Die Vorstellung, dass die deutsche Gesetzgebung alles und jedes auf den richtigen Weg bringt und die deutsche Verwaltung das dann kongenial ausführt und trotzdem die Wirtschaftskraft des Landes nicht auf der Strecke bleibt, ist nach aller Erfahrung illusorisch. Im Gegenteil ist es gerade in der digitalisierten und globalisierten Welt ratsam, auf die Schwarmintelligenz der unzähligen Marktteilnehmer zu vertrauen.

Gleiches gilt für die Energiepolitik. Mit Gesetzen allein kann man die Klimaneutralität nicht schaffen und die Versorgungssicherheit nicht gewährleisten. Dafür muss eine ganze Volkswirtschaft umsteuern. Das schaffen immer noch am besten die Bürger und Unternehmen selbst. Sie brauchen Ansprache und Richtung, Leitplanken, aber sie brauchen auch die Freiheit, selbst innovativ zu werden. Im grünregierten Baden-Württemberg ist der Klimaschutz in den vergangenen zehn Jahren nicht nur mit Gesetzeskraft, sondern vor allem mit Innovationsförderung vorangetrieben worden. Mit der Industrie, nicht gegen sie. Das ist die Blaupause für Deutschland.

Die Freiheit, die es für eine solche Politik braucht, kann die runderneuerte FDP beimischen. Eine FDP, die interessanterweise diesmal nicht nur von Handwerkern, Apothekern und Steuerberatern gewählt worden ist, sondern - Überraschung! - von einem guten Teil der Jungwählerinnen und -wähler. Diese FDP will Freiheitsräume sichern, will die Staatsausgaben begrenzen und die Innovationskraft stärken.

Wenn Grüne und FDP zu einer gemeinsamen Politik finden: die einen von der ökologischen Seite kommend, die anderen von der liberalen, bleibt SPD-Kanzler Olaf Scholz die Aufgabe, dieses Kraftzentrum zusammenzuhalten. Weil ihm die Menschen vertrauen, weil er für Respekt steht. Weil sein Anliegen der soziale Ausgleich ist. Vorausgesetzt, die "Genossen lassen die Tassen im Schrank", wie es vor so vielen Jahren mal ein SPD-Wirtschaftsminister namens Karl Schiller mit Blick auf maßlose Umverteilungspläne der eigenen Partei gefordert hat.

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