Süddeutsche Zeitung

Unwetterschutz:Wenn die Stadt zum Schwamm wird

Lesezeit: 5 min

Überflutete Straßen nach Starkregen, damit haben Kommunen immer häufiger zu kämpfen. Berlin will sich nun dem Klima anpassen - und Regenwasser intelligent nutzen. Aber reicht das?

Von Francesca Polistina, Berlin

Carlo Becker kommt mit leichter Verspätung zum Termin. Die Bahn streikt wieder, um den Ortsteil Adlershof im Südosten Berlins zu erreichen, muss er mit dem Auto im Stau fahren, "obwohl ich das nicht gerne mache", wie er sagt. Den Treffpunkt hat Becker selbst vorgeschlagen, Ecke Newtonstraße/Zum Großen Windkanal: Es ist ein Ort, den man in keinem Reiseführer findet, ein Ort, der alles außer spektakulär erscheint. Carlo Becker, 64, Landschaftsarchitekt, kennt ihn sehr gut. Mitte der Neunziger fuhr er fast täglich nach Adlershof; der Ortsteil, der zur DDR-Zeit militärisch genutzt wurde und viele Forschungseinrichtungen beherbergte, musste nach der Wende renoviert und neu konzipiert werden. Becker gehörte mit seinem Landschaftsarchitektenbüro zum Planungsteam. Seitdem sind 25 Jahre vergangen, aber immer wieder fährt er dorthin, wenn er an einem konkreten Beispiel erklären soll, wie die Schwammstadt überhaupt aussieht.

Wobei wir schon bei der ersten Frage wären: Schwammstadt, was ist das überhaupt? Um dieses Konzept der Stadtplanung zu verstehen, stelle man sich einen Reinigungs- oder einen Wannenschwamm vor. Ein Schwamm macht etwas ganz Banales und ist trotzdem hocheffektiv: Er nimmt das Wasser auf, behält es für eine Weile und gibt das Wasser verzögert wieder ab. Genau das sollte für Landschaftsarchitekt Becker eine klimaangepasste Stadt tun: Sie sollte das Regenwasser nicht mittels Kanalisation schnell abführen, sondern es zurückhalten, wo es fällt, und es zur Bewässerung von Pflanzen und Sträuchern und allgemein der Grünanlagen nutzen. Pflanzen und Grünanlagen kühlen durch die Verdunstung die Stadt, wenn die Temperaturen zu hoch steigen, oder schützen vor Überschwemmungen. Nicht nur: "Wenn das Wasser lokal bewirtschaftet wird, wird das Kanalisationssystem entlastet", sagt Becker. Klingt nach wenig, ist in Wirklichkeit aber viel.

Die Innenstadt Berlins hat eine Mischwasserkanalisation, was bedeutet, dass Schmutzwasser und Regenwasser durch dieselben Leitungen zu den Klärwerken fließen. Das ist für europäische Großstädte nicht unüblich, von Madrid bis Moskau: Im 19. Jahrhundert baute man die Kanalisationen eben so, aber damals waren die Städte nicht so dicht besiedelt, und der Klimawandel war noch kein so großes Problem. Heute sieht es anders aus: Wenn es stark regnet (und Experten gehen davon aus, dass extreme Regenfälle zunehmen werden), kann die Kanalisation schnell überlastet werden und überlaufen. Das überschüssige Dreckwasser aus Toiletten und Duschen - das zwar mit dem Regen stark verdünnt ist, aber trotzdem schädliche Stoffe enthält - fließt dann in einen der vielen Stauräume oder in die Kanäle und Flüsse, ohne über die Kläranlagen zu laufen.

Für Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe, sind die Auswirkungen für eine Stadt wie Berlin besonders gravierend, weil die Spree und der Landwehrkanal sehr langsam fließen. Das Wasser dort braucht also lange Zeit, um wieder sauber zu werden, und der Naturraum leidet darunter. Außerhalb der Innenstadt gibt es zwar ein getrenntes Kanalisationssystem, aber auch dort sind die Leitungen auf normale Regenereignisse ausgelegt.

In Adlershof gibt es fast keine Gullys mehr

Deshalb lautet das Credo: So wenig Regenwasser wie möglich in die Leitungen abführen, um das Kanalisationssystem zu befreien. So viel Wasser wie möglich sammeln, um die Dürre zu bekämpfen, die in Berlin schon Realität ist und die Hälfte der städtischen Bäume bereits beschädigt hat. In Adlershof hat man fast das ganze Quartier abflusslos - also ohne Gullys - gebaut: Zwischen Straßen und Gehwegen liegen grüne, wannenförmige Mulden, die zur Versickerung des Wassers dienen; die Dächer der neuen Gebäude sind mit Gräsern und Dachstauden begrünt, die Grünflächen liegen tiefer als die Straßen, sodass der Regen hineinfließen kann. Und trotzdem: Gäbe es nicht die grüne Fassade des Instituts für Physik der HU Berlin, die aus Kletterpflanzen besteht, würde man wahrscheinlich nicht merken, dass dieser Stadtteil anders ist als viele andere. "Die Schwammstadt ist häufig unsichtbar", sagt Carlo Becker.

Adlershof ist nicht das einzige Quartier in Berlin, wo das Regenwasser lokal bewirtschaftet wird. Auch die Rummelsburger Bucht, der Potsdamer Platz oder Karow-Nord, alle in den Neunzigern entstanden, gehören dazu. Weitere Beispiele sind etwa das Quartier 52 Grad Nord, das gerade fertig gestellt worden ist, oder das Schumacher Quartier auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel, das nach den Prinzipien der Schwammstadt gebaut werden soll. In allen Fällen besteht die Schwammstadt aus einer "Kombination von verschiedenen Maßnahmen", wie die Leiterin der Berliner Regenwasseragentur, Darla Nickel, erklärt. Dazu gehören etwa Dachbegrünung, Versickerungsmulden sowie künstliche Gewässer, Feuchtbiotope oder in manchen Fällen Zisternen.

Nun ist es so, dass Neubauprojekte stadtplanerisch große Freiheiten bieten, die entscheidende Frage bleibt allerdings: Wie kann man die Schwammstadt in der Innenstadt umsetzen, wo alles schon eng bebaut ist und es wenig Spielraum gibt? Für Carlo Becker ist das Konzept der Schwammstadt ohne Mobilitätswende undenkbar. "Man sollte aus den Straßen Grünflächen schaffen", sagt der Landschaftsarchitekt, obwohl Versuche in diese Richtung von den Anwohnern nicht immer gern gesehen wurden, weil etwa aus Parkplätzen Grünstreifen wurden.

Das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe versuchen es mit Vorschriften: Bei Bauvorhaben im Bereich der Mischkanalisation, also innerhalb des S-Bahn-Rings, darf grundsätzlich kein Regenwasser mehr in die Kanalisation fließen. "Nicht immer ist es möglich, das komplette Regenwasser lokal zu bewirtschaften", sagt Nickel, denn häufig habe man schlicht keine ausreichende Fläche zur Speicherung oder Versickerung des Wassers. "Aber fast immer kann man zumindest einen Teil des Regenwassers auffangen und wieder nutzen." Ziel sei es, so Nickel, jedes Jahr die Fläche, die in der Innenstadt an die Kanalisation angeschlossen ist, um ein Prozent zu reduzieren.

Vorbilder gibt es in den Niederlanden und in China

Der Name Schwammstadt stammt aus dem englischen Sponge City, die deutsche Übersetzung "Schwammstadt" hat Becker selbst als Wortmarke schützen lassen. Fragt man die Experten, sind die Vorbilder vor allem in den Niederlanden zu finden: Dort haben sich Städte wie Rotterdam oder Amsterdam schon längst mit dem Thema Regenwasser (und allgemein mit der Nachhaltigkeit) beschäftigt. Aber auch in China, wo übrigens der Begriff entstand, werden viele Projekte umgesetzt. In Deutschland ist Hamburg ein prominentes Beispiel: Die Hansestadt will auch zur Schwammstadt werden, "mit Gründächern, lockeren Böden, Mulden, Gräben, Pflanzen an Fassaden oder Rasengittersteinen statt Asphalt" liest man auf der Webseite von Hamburg Wasser, dem lokalen Wasserversorgungsunternehmen. Auch in Hamburg wird die Hitze zu einer großen Belastung für die Stadtbewohner, und die Behörden sind auf der Suche nach praktikablen Lösungen, um die Stadt zu kühlen.

Ist die Schwammstadt auch die Antwort auf Naturkatastrophen wie das Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz? "Was in NRW passiert ist, kriegt man auch mit der Schwammstadt nicht in den Griff", erklärt Nickel. Denn in gebirgigen Regionen seien die Auswirkungen von extremen Regenfällen viel stärker als in flachen Landstrichen wie der Hauptstadt. Dort fungieren die Hügel und Berge wie ein Trichter in Richtung der schmalen Flusstäler. Die Prinzipien der Schwammstadt sind aber überall gültig: "Egal, ob in der Stadt oder auf dem Land: Das Wasser braucht mehr Platz", sagt Nickel.

Becker spricht dabei von "Schwammlandschaften": "Wenn Landschaften wie ein Schwamm funktionieren würden, dann könnten diese mehr Wasser zurückhalten", so der Landschaftsarchitekt. Real wurden aber Landschaften immer mehr ausgeräumt, feuchte Senken trockengelegt, Kleingewässer beseitigt, Gehölze verschwanden, so Becker. Deshalb sei es nötig, das Konzept mit anderen Maßnahmen zu kombinieren. Denn: Die alleinige Antwort auf den Klimawandel ist die Schwammstadt nicht - aber gibt es sie überhaupt, die alleinige Antwort auf den Klimawandel?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5411754
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.