Süddeutsche Zeitung

Preissteigerung:Inflation so hoch wie zuletzt 1951

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Die Inflationsrate ist in Deutschland im September auf 10,0 Prozent gestiegen. Nicht einmal in der Ölkrise der 1970er-Jahre gingen die Preise so drastisch in die Höhe. Was Ökonomen jetzt fordern.

Von Harald Freiberger

Das Problem der Inflation hat sich in Deutschland weiter drastisch verschärft. Inzwischen steigen die Preise mit einer zweistelligen Rate. Im September erhöhte sich die Inflationsrate auf 10,0 Prozent. Im August hatte sie noch bei 7,9 Prozent gelegen. Der starke Anstieg lag vor allem daran, dass Ende August das Neun-Euro-Ticket und der Tankrabatt nach drei Monaten ausliefen. Die Bundesbürger müssen nun wieder deutlich mehr für öffentliche Verkehrsmittel und Benzin zahlen.

Was Ökonomen aber noch mehr Sorgen bereitet, ist, dass sich unabhängig davon überall die Tendenz zu höheren Preisen verfestigt: Weil seit Ausbruch des Ukraine-Krieges die Preise für Öl, Gas, Strom und einige Lebensmittel extrem gestiegen sind, wälzen viele Unternehmen ihre höheren Kosten auch auf fast alle anderen Produkte um. "Die Preise steigen immer schneller auf breiter Basis", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Neun-Euro-Ticket und Tankrabatt hätten die Situation in den vergangenen Monaten verzerrt, nun zeige sich die ungeschminkte Wahrheit: ein gefährlich starker allgemeiner Preisauftrieb. Eine Inflationsrate von zehn Prozent auf Monatsbasis hat es in Deutschland nicht einmal während der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre gegeben. Man muss bis ins Jahr 1951 zurückgehen, um eine höhere Inflationsrate zu finden. Damals ließ der Ausbruch des Korea-Krieges die Rohstoff- und Produzentenpreise emporschnellen.

In ihrem Herbstgutachten, das sie am Donnerstag veröffentlichten, prognostizieren fünf deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute für 2022 im Jahresdurchschnitt eine Inflationsrate von 8,2 Prozent. Im nächsten Jahr soll der Preisanstieg mit 8,8 Prozent sogar noch höher ausfallen, erst 2024 werde er sich wieder bei 2,2 Prozent einpendeln.

"Immer mehr Menschen vertrauen nicht mehr dem Versprechen der Europäischen Zentralbank (EZB), die Inflationsrate auf zwei Prozent herunterzubekommen", sagt Ökonom Krämer. Sie habe das Problem zu lange kleingeredet. Deshalb sei es wichtig, dass sie die Zinsen nun weiter kräftig erhöhe, am besten um jeweils 0,75 Prozentpunkte bei jeder Sitzung. Krämer ist der Überzeugung, dass die EZB einen Einlagensatz von rund vier Prozent anpeilen sollte, um mittelfristig eine Inflation von wieder zwei Prozent sicherzustellen. Derzeit liegt dieser Einlagensatz bei 0,75 Prozent.

Eine Inflationsrate von zehn Prozent dürfte bei den Bundesbürgern für weitere Beunruhigung sorgen. Gerade ärmere Haushalte leiden unter der hohen Inflation, da sie häufig keine Ersparnisse haben, um die stark gestiegenen Preise aufzufangen. Die Diskussionen, wie die Bundesregierung gerade diese Menschen entlasten kann, könnten nun noch einmal an Fahrt aufnehmen.

Ulrich Kater, Chefökonom der Deka Bank, versucht zumindest in einem Punkt zu beruhigen: "Die Inflationsrate dürfte bald ihren Höhepunkt erreichen", sagt er. Er rechne damit, dass die Preissteigerung ab Dezember langsam zurückgeht, vor allem wegen sinkender Preise für Öl und Gas. "Eine Panik der Bürger wegen einer immer weiter steigenden Inflation ist deshalb nicht gerechtfertigt." Dennoch habe Deutschland ein längerfristiges Inflationsproblem, wenn auch nicht in der gegenwärtigen Dimension. Die Preissteigerung dürfte nach dem Rückgang auf einem Sockel von drei bis vier Prozent verharren. Deshalb könne es für die EZB keine Entwarnung geben. Sie müsse weiter entschieden mit höheren Zinsen gegen die hohe Inflation vorgehen. "Sie hat anders als die US-Notenbank Fed zu spät damit angefangen, wenn man am Anfang etwas geschlafen hat, muss man schneller laufen, um das Feld wieder zu erreichen", sagt der Ökonom.

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