Süddeutsche Zeitung

IG Metall:Zu viel Kampf, zu wenig Partnerschaft

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In der Metallindustrie hat die Gewerkschaft so viel Macht wie in kaum einer anderen Branche. Aber sie überfordert die Unternehmen - das könnte sich nun rächen.

Kommentar von Detlef Esslinger

Es gibt eine gute Methode, Leser gleich am Anfang zu langweilen: Floskeln bringen. "Man sieht sich immer zweimal" wäre zum Beispiel eine, oder: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel." Und wenn sie ausnahmsweise passen?

In der Metall- und Elektroindustrie ist das Verhältnis zwischen den Arbeitgebern und der IG Metall seit Jahren gespannt. Rainer Dulger, der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, hat dies am Dienstag im SZ-Interview keineswegs erstmals geäußert, sondern nur besonders drastisch ausgedrückt. Er drohte damit, dass ein Betrieb nach dem anderen die Tarifbindung verlassen könne. Danach könne "die Gewerkschaft zusehen, wie sie sich im Häuserkampf durchschlägt" - also versuchen, Betrieb für Betrieb die Arbeitsbedingungen zu regeln, egal wie stark oder schwach sie jeweils ist.

Die Drohung gründet darin, dass die IG Metall in mehreren Tarifrunden nacheinander mehr für die Beschäftigten herausgeholt hat, als dies viele Arbeitgeber für angemessen und verkraftbar hielten. 2018, beim vergangenen Mal, waren es, unter anderem: eine Tarifsteigerung um 4,3 Prozent, eine Sonderzahlung von 400 Euro sowie eine weitere von 27,5 Prozent eines Monatsgehalts (die manche Gruppen von Beschäftigten durch acht zusätzliche freie Tage ersetzen dürfen), das Recht, vorübergehend in Teilzeit zu wechseln. Klingt super; ist es aber nur vielleicht. Denn man sieht sich immer zweimal, und nach dem Spiel ist... und so weiter.

In der Metallbranche überfordert die Gewerkschaft die Betriebe. Anderswo ist es umgekehrt

Dass die Arbeitgeber noch Monate danach mit einem Tarifergebnis hadern, hat sich fast zu einer Besonderheit der Metallbranche entwickelt. Dies hat nicht nur mit dem hohen Volumen der Abschlüsse zu tun, sondern auch damit, wie sie zustande kommen. In der Chemie-Industrie wird ebenfalls sehr gut bezahlt, aber dort einigen sich Bundesarbeitgeberverband Chemie und IG Bergbau, Chemie, Energie stets in friedlichen Gesprächen. Den letzten Streik gab es kurz nachdem Apollo 14 auf den Mond flog; 1971. In der Metall-Industrie hingegen geht es nie ohne Arbeitskampf.

Zur Kultur der IG Metall gehört die Vorstellung, dass nur ein erstreikter Abschluss ein guter Abschluss sein kann. Weil es zugleich in vielen Metall- und Elektro-Betrieben viele Gewerkschaftsmitglieder, also Streiktruppen, gibt, die sofort die Produktion stoppen können, hat sich bei vielen Arbeitgeber ein Eindruck verfestigt: Tarife werden nicht mehr ausgehandelt, sondern ihnen abgepresst.

Ob das objektiv stimmt oder übertrieben ist, ist nicht so wichtig. "Psychologie ist die Hälfte der Wirtschaftspolitik", hat Ludwig Erhard angeblich gesagt. Für Tarifpolitik gilt das gleichermaßen. Bei der Industrie- und Handelskammer sind die Unternehmen Mitglied, weil es ihnen vorgeschrieben ist. In einem tarifgebundenen Arbeitgeberverband jedoch sind sie es freiwillig. Ein üppiger Abschluss nutzt einer Gewerkschaft wenig, falls sie ihn damit bezahlt, dass die Gegenseite beim nächsten, beim zweiten Mal, entweder hohe Konzessionen verlangt, um ihre Mitglieder bitte wieder zu befrieden - oder dass diese Gegenseite dereinst Konzessionen nur deshalb nicht mehr zu verlangen braucht, weil ihr die Mitglieder ohnehin vor Wut und Frust davongelaufen sind.

So sähe man sich dann doch nur einmal statt zweimal. Aber wer will das schon. Geht die Tarifbindung der Betriebe weiter zurück, stünde die IG Metall in der Tat eines Tages vor jenem "Häuserkampf", den die Arbeitgeber ihr derzeit ausmalen.

In der deutschen Tariflandschaft gibt es mehrere Unwuchten. In anderen Branchen fallen sie zu Lasten der Arbeitnehmer aus. Warum wohl finden einige private Bahnbetreiber keine Lokführer mehr, so dass sie ganze Strecken nicht mehr bedienen können? Warum wohl gibt es in den Heimen viel zu wenig Pfleger? Und warum hängen Wirte an die Tür von Restaurants ein Schild "Koch gesucht" auf; in der vagen Hoffnung, einen zufälligen Gast auf die Idee zu bringen? Es gibt Arbeitgeber, die partout nicht kapieren, welch ein Nachteil es in Wahrheit für sie bedeutet, gewerkschafts- und mitbestimmungsfreie Zone zu sein. Wer unbedingt alleine Herr im Haus sein will, ist halt irgendwann tatsächlich allein im Haus.

Umgekehrt gibt es aber auch Gewerkschafter, die in ihrem Leben ein paar Kampflieder zu viel gesungen haben. Die Metallindustrie ist eine Branche, in der der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit längst weggestreikt und wegverhandelt worden ist. Gemessen an der ökonomischen Lage ihrer Mitglieder könnte die IG Metall anfangen, sich nicht nur als "Sozialpartner" zu begreifen, sondern auch zu inszenieren. Aber man hängt halt so an den Gewohnheiten.

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Quelle:
SZ vom 24.07.2019
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