Süddeutsche Zeitung

Hauptversammlungen:Termin-Kartell verärgert Aktionäre

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Gleich 35 börsennotierte Firmen haben ihre Hauptversammlung auf denselben Tag gelegt. Aktionärsvertreter vermuten dahinter Absicht - damit weniger Kritiker kommen.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Der 17. Mai 2023 scheint ein besonderer Tag zu sein - zumindest aus Sicht derjenigen, die in börsennotierten Unternehmen für die Organisation von Hauptversammlungen verantwortlich sind. Dort hielten dieses Jahr erstaunlich viele Entscheidungsträger offenbar genau jenen Mittwoch vor Christi Himmelfahrt für den idealen Termin für das Eigentümertreffen, immerhin eines der wichtigsten Beschlussorgane einer Aktiengesellschaft. Tatsächlich finden am 17. Mai insgesamt 35 Hauptversammlungen statt, hat die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) gezählt, darunter sind allein vier Unternehmen aus dem Dax, dem Index der 40 größten deutschen börsennotierten Firmen: der Energiekonzern Eon, die Deutsche Bank, Fresenius und das Wohnungsunternehmen Vonovia. Und nicht nur das: Es gibt anscheinend noch einen zweiten Lieblingstermin: Den 11. Mai haben sich gleich fünf Dax-Unternehmen gesichert.

Wie kann das sein? Hätten die Firmen nicht reichlich Auswahl? Aktionärsvertreter vermuten Absicht. "Aus dem Markt ist bekannt, dass manche Unternehmen ihre Versammlung gerne auf den HV-Tag der Deutschen Bank legen, um das Erscheinen kritischer Aktionäre zu verhindern", sagt Kapitalmarktrechtler Marc Liebscher von der SdK. Er glaubt, dass der Trend, Hauptversammlungen digital abzuhalten, das Versteckspiel erleichtere. Es fehle das Korrektiv der Raumverfügbarkeit. "Weil sich Unternehmen nicht mehr vorrangig an zur Verfügung stehenden Räumen orientieren müssten, versuchen sie womöglich, ihre Termine so zu legen, dass sie möglichst wenig Aktionärsinteresse auf sich ziehen", sagt Liebscher. Was einer gewissen Ironie nicht entbehrt: Sollten doch digitale Versammlungen nach Vorstellung ihrer Verfechter eigentlich die Aktionärsbeteiligung erleichtern.

Tatsächlich ist allen voran die Deutsche Bank traditionell ein Anziehungspunkt nicht nur für Aktionäre mit Redebedarf, sondern auch für Nichtregierungsorganisationen (NGO), die dort gerne werbewirksam auf Missstände aufmerksam machen. Da aber sowohl Fondsgesellschaften als auch NGOs nur über begrenzte Ressourcen verfügen, können sie in der Regel nur eine HV pro Tag besuchen.

Auch bei Union Investment, der Fondsgesellschaft der Genossenschaftsbanken, halten sie die Terminballung daher für äußerst unglücklich: "Das erschwert es uns, unsere Treuhänderfunktion auszuüben", sagt Janne Werning, Experte für Corporate Governance bei Union Investment. Die Fondsmanager, die für ihre Aktienfonds viele Unternehmen im Blick haben, könnten nicht mehrere Hauptversammlungen an einem Tag besuchen. Auch digital sei das unmöglich, man wolle schließlich auch der Versammlung folgen und Redebeiträge professionell virtuell übertragen. Gerade die Dax-Treffen am 17. Mai seien aber allesamt Pflichttermine für aktive Aktionäre.

"Kosten, Fehler und Missbrauch werden zunehmen"

Ohnehin wächst der Unmut bei Aktionärsvertretern, seit viele Unternehmen die virtuelle Hauptversammlung von der Ausnahmeerscheinung in den Corona-Jahren zum Standard erheben wollen. Große deutsche Fondshäuser wie Union Investment und Deka oder der Fondsverband BVI sprechen sich für die Beibehaltung der Präsenz-Veranstaltungen aus. Sie sehen angesichts der virtuellen Hauptversammlung die Mitspracherechte der Anteilseigner beschnitten. Etwa wenn der Vorstand künftig vorgibt, dass Aktionäre ihre Fragen spätestens drei Tage vor der HV einreichen müssen und diese dann nicht auf der HV, sondern einen Tag vorher im Aktionärsportal beantwortet werden.

Bei den betroffenen Dax-Unternehmen hieß es sinngemäß, die Termine seien angeblich seit Jahren geplant gewesen. Virtuelle Versammlungen ermöglichten es zudem, auch weitere Veranstaltungen an einem Tag zu verfolgen, eine Verschiebung sei daher unnötig.

Marc Liebscher von der SdK sieht durch die Terminballung erheblichen Schaden für Aktionärsdemokratie. Die Gesellschaften könnten ja auch kaum noch sicherstellen, dass Hauptversammlungen ordnungsgemäß abgehalten würden, auch weil die wenigen großen HV-Dienstleister an einem Tag mehrere Aktionärsversammlungen abwickeln müssten. Personalengpässe würden spürbar werden, EDV-Abläufe instabil. "Kosten, Fehler und Missbrauch werden zunehmen". Der Preis aber sei hoch: Weniger Aktionärskontrolle erhöhe nicht zuletzt die Wahrscheinlichkeit von Finanzskandalen.

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