Süddeutsche Zeitung

Harald Uhlig:Der Professor und die Rassismus-Debatte

Lesezeit: 5 min

Ein einflussreicher Ökonom aus Deutschland wurde in den USA von einem wichtigen Posten freigestellt.

Von Bastian Brinkmann, München

Wer es in der akademischen Welt zu etwas bringen will, der muss wissenschaftliche Studien veröffentlichen. Publish or perish ist das Motto der angelsächsisch geprägten Sprache der Ökonomie: Wer nichts veröffentlicht, kann sich gleich vom Acker machen. Am besten ist es, in einem "Top 5"-Journal zu veröffentlichen. Das sind die fünf anerkanntesten Wissenschaftszeitschriften des Fachs, die den meisten Ruhm versprechen. Zu ihnen wird das Journal of Political Economy gezählt, angesiedelt an der University of Chicago, die in vielen Zweigen der Wirtschaftswissenschaft stilprägend war und ist. Chefherausgeber war bislang Harald Uhlig, ein deutscher Ökonom, der schon lange in den USA lebt, seit 2007 arbeitet er an der University of Chicago. Doch der Beirat der Publikation hat Uhlig nun freigestellt.

Der Beirat reagiert auf Vorwürfe, Uhlig habe sich in einer Vorlesung diskriminierend verhalten. Der Fall und die Diskussion darüber finden in den USA vor dem Hintergrund einer Debatte über Rassismus statt, die sich seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd und den derzeitigen "Black Lives Matter"-Protesten intensiviert hat. Uhlig gilt als bekannte und geschätzte Stimme in der Ökonomie, er ist gut vernetzt, hält Vorträge und schreibt Gastbeiträge, auch in der SZ.

Ein ehemaliger Student von Uhlig, Bocar Ba, hatte die Vorwürfe auf Twitter öffentlich gemacht. Ba ist schwarz, er hat nach seinem Studium in Chicago eine akademische Laufbahn eingeschlagen. Im Wintersemester 2014 habe Uhlig die Möglichkeit durchgespielt, eine Vorlesung auf den Martin Luther King Day zu legen, einen Feiertag zu Ehren des Bürgerrechtlers. Uhlig habe sich über King lustig gemacht und über Menschen, denen das Gedenken an ihn wichtig ist. Dann habe Uhlig Ba vor allen gefragt, ob er jetzt beleidigt sei.

Die Universitätsleitung nimmt die Vorwürfe ernst. "Die University of Chicago duldet kein einschüchterndes, feindseliges oder beleidigendes diskriminierendes Verhalten, das auf Gruppen oder Einzelpersonen abzielt", teilt ein Sprecher mit. Die Teilhabe an Bildung dürfe nicht behindert werden. Die Behauptungen, dass ein Fakultätsmitglied sich aufgrund der Hautfarbe eines Studenten diskriminierend verhalten habe, werde nun geprüft. Statt "Hautfarbe" benutzt der Sprecher das Wort race, das in den USA häufig als sozialer Term gelesen wird.

Uhlig begrüßt die formelle Untersuchung, weist die Vorwürfe aber zurück. "Ich bin sicher, es handelt sich um ein tragisches Missverständnis", mailt er auf Anfrage. "Ich kann mich an den Vorfall aber leider nicht erinnern." Falls er Ba gefragt habe, ob er nun beleidigt sei, sei das "sicherlich ehrlich und handreichend gemeint" gewesen und nicht sarkastisch. "Schade, dass wir das damals nicht gleich klären konnten", schreibt Uhlig. "Ich hätte mich sofort und ehrlich entschuldigt." Dass die Universität den Fall nun prüfen will, sei "eine richtige und vernünftige Entscheidung", die er voll unterstütze. "Die Vorwürfe müssen unbedingt untersucht werden."

Aufzeichnungen der Vorlesungen sind, falls sie existieren, bislang nicht öffentlich geworden. Somit ist der genaue Wortwechsel nicht dokumentiert. Ba nennt keine weiteren Details, eine E-Mail ließ er unbeantwortet. Ein ehemaliger Kommilitone hat angegeben, mit Ba in der Klasse gesessen zu haben und dessen Version bestätigen zu können: "Jedes Wort ist wahr, das ist ganz genauso passiert." Auch er reagierte nicht auf Anfrage.

Nach Ba meldeten sich Studentinnen und Studenten auf Twitter, die angeben, dieses Jahr eine Vorlesung von Uhlig gehört zu haben. Dort seien "ähnliche Bemerkungen" gefallen, schreibt einer. Vier weitere ergänzten, das bestätigen zu können. E-Mails ließen die Studierenden unbeantwortet. Auch diesen Vorwurf weist Uhlig zurück. "Es wäre gut zu wissen, was ich konkret gesagt habe, um das zu klären", schreibt er. Eine Aufzeichnung oder mehr Details wären dabei hilfreich. "Wie die meisten teile ich die große Bewunderung für Martin Luther King, deswegen passt das alles für mich nicht zusammen."

Schon vor diesen Vorwürfen stand Uhlig im Fokus einer Debatte, die exemplarisch ist für viele derzeitige Diskussionen über Rassismus, in den USA wie in Deutschland. Dabei bilden sich vereinfacht gesagt zwei Lager, die Rassismus unterschiedlich definieren. Uhligs Verteidiger sehen Rassismus als Verhalten gewalttätiger Rechtsextremisten, was natürlich nicht toleriert werden dürfe. Jemandem rassistisches Verhalten vorzuwerfen, sei aber ein schwerer Vorwurf, der Uhlig in eine Reihe mit mordenden Neonazis stelle. Uhlis Kritiker wiederum definieren Rassismus breiter, als strukturelles Problem, das auch Machtverhältnisse beschreibt. Dass es kaum Schwarze in der Forschung gebe, sei ein Zeichen rassistischer Diskriminierung in der akademischen Welt. Dazu würden unterbewusste Handlungen kommen, die Schwarze ständig rassistisch verletzten, etwa der Griff zur Handtasche, wenn ein Schwarzer in die U-Bahn einsteigt.

Anlass dieser Debatte waren Tweets von Uhlig. So hat er den Slogan "Defund The Police" kritisiert, was auf den "Black Lives Matter"-Demonstrationen mitunter gefordert wird. Oft bleibt unklar, was damit genau gemeint ist - also ob die Protestler fordern, der Polizei tatsächlich alles Geld zu entziehen, sie de facto abzuschaffen, oder ob schlicht Budgets mehr oder weniger radikal umgeschichtet werden sollen, etwa in Prävention statt in militärische Ausrüstung. Uhlig jedenfalls hat sich gegen eine vollständige Mittelentziehung ausgesprochen. Er twitterte über "Defund The Police"-Forderungen: "Seufz. George Floyd und seine Familie haben es echt nicht verdient, dass nun Menschen ihren Fall ausnutzen, die glauben, die Erde sei eine Scheibe." Teil der Diskussion wurde dann auch ein Blogpost von Uhlig, der 2017 erschienen ist. Darin fragte er im Zusammenhang mit den aus Protest bei der US-Nationalhymne knieenden Schwarzen im Sport rhetorisch, ob diese Form des Protests nicht gleich zu bewerten sei mit dem Tragen einer Ku-Klux-Klan-Uniform auf dem Football-Feld. Die rechtsextreme Bewegung hat in den USA viele Schwarze gelyncht.

Janet Yellen, die ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, hat Uhlig in der New York Times kritisiert. "Die Tweets und Blog-Posts von Harald Uhlig sind äußerst beunruhigend", sagte sie und forderte, seine Rolle in der Fachzeitschrift zu prüfen, was dann auch geschah. Yellen ist Präsidentin der American Economic Association, der US-Vereinigung der Ökonominnen und Ökonomen.

Uhlig hat sich von seinen Äußerungen distanziert. "Meine Tweets in den vergangenen Tagen und ein alter Blog-Beitrag haben offenbar viele Leute irritiert", twitterte er. Das sei nicht seine Absicht gewesen. "Ich möchte mich dafür entschuldigen." Der Verweis auf den Ku Klux Klan sollte zum Nachdenken über die Meinungsfreiheit anregen, so Uhlig. "Im Nachhinein betrachtet war das gewählte Beispiel zu extrem." Zugleich beschwerte er sich über manche seiner Kritikerinnen und Kritiker. "Der Ton, den Sie anschlagen, ist für viele (mich eingeschlossen) beleidigend und gefährlich für den Berufsstand, da er feindselige Signale gegenüber Ideen und Menschen sendet."

"Wir haben gelernt, dass unser berufliches Klima für Schwarze ein feindseliges Klima ist."

Die Leitungsrunde der American Economic Association hat Anfang Juni die Tötung von Schwarzen durch die Polizei aufs Schärfste verurteilt. "Wir erkennen an, dass wir erst begonnen haben, den Rassismus und seine Auswirkungen auf unsere Disziplin zu verstehen", heißt es in der Mitteilung. "Wir haben gelernt, dass unser berufliches Klima für Schwarze ein feindseliges Klima ist." In einer Umfrage unter Ökonominnen und Ökonomen gaben nur drei Prozent an, sich als Schwarze zu identifizieren, weit unter dem Schnitt der US-Bevölkerung von 13 Prozent. Fast die Hälfte der Schwarzen sagte, in der Volkswirtschaftslehre Diskriminierung erfahren zu haben.

Nach der Debatte über Uhlig kündigte die Chicagoer Niederlassung der US-Notenbank Fed ihren Vertrag mit ihm. "Seine Ansichten sind nicht mit den Werten der Chicago Fed und unserem Engagement für Vielfalt, Gerechtigkeit und Integration vereinbar", sagte eine Sprecherin vorige Woche dem Wall Street Journal.

Die Universität wollte sich zum Stand der Prüfung der Vorwürfe nicht äußern.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2020
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