Süddeutsche Zeitung

"Grüne Woche" in Berlin:Alles nur eine große, grüne Show

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Die "Grüne Woche" soll den Verbrauchern das Vertrauen in die Landwirtschaft zurückgeben. Das wird aber erst klappen, wenn die Politik der mächtigen Lobby etwas entgegensetzt.

Von Markus Balser, Berlin

Für zehn Tage hat die heile Welt wieder ein Zuhause: Berlin Messedamm, das Areal der Grünen Woche. Von Freitag an werden Besucher dort Ferkel in geräumigen Holzställen auf frischem Stroh sehen. Kühe werden Namen wie Paola tragen. Die Grüne Woche ist die weltgrößte Messe für Ernährung und Landwirtschaft. In Zeiten der Massentierhaltung ist sie vor allem eine Show. Eine, die den Menschen das Vertrauen in die moderne Landwirtschaft zurückgeben soll. Mit Streuobstwiese und Erlebnisbauernhof.

Immer mehr Deutsche aber glauben den Botschaften nicht mehr. Denn immer seltener dürfen Rinder, Schweine oder Hühner wirklich Naturprodukte sein. Zu häufig sind sie mit Antibiotika vollgestopfte Hochleistungsmaschinen. Der Ruf der Agrar- und Fleischindustrie ist schlecht. Weil sich im Grundwasser rekordverdächtige Düngemittelrückstände finden. Weil in Eiern Dioxin und in Obst und Gemüse Pestizide auftauchen. Ausgerechnet die Produktion von Lebensmitteln offenbart eklatante Defizite beim Tier- und Umweltschutz.

Wenig Land, viel Wirtschaft

Der Streit um unsere Ernährung polarisiert derzeit wie nie zuvor. Wie schon bei der Energiewende wächst der Druck der Öffentlichkeit auf eine radikale Kurskorrektur. Unter dem Motto "Wir haben es satt" werden am Samstag Tausende in Berlin gegen die konventionelle Agrarwirtschaft demonstrieren. Ihr Protest richtet sich vor allem gegen die industrielle Produktion, die in ihren Augen zu wenig mit Land und zu viel mit Wirtschaft zu tun hat. Die Grünen fordern bereits ein Ausstiegsszenario wie einst bei der Atomkraft. Erstmals mischte sich am Donnerstag auch Bundespräsident Joachim Gauck in die Debatte ein und forderte mehr Nachhaltigkeit auf deutschen Feldern und Ställen.

Klar ist: Es muss sich etwas ändern. Die Wut wächst auch unter den Bauern. Denn der gravierende Unterschied zur Energiewende ist: Die Bauern haben kein Milliardenpolster zum Umsteuern. Einem großen Teil geht es schlecht. Viele Betriebe müssen gerade aufgeben, die Preise für Milch und Fleisch sind extrem niedrig. Die Exporte nach Russland und Asien erholen sich so schnell nicht. Immer mächtigere Supermarktketten können den Landwirten Rabatte abpressen. Mit der wahrscheinlicher gewordenen Übernahme der Kaiser's- und Tengelmann-Märkte durch Edeka wird es für die Bauern wohl noch schwerer. Zumal viele Verbraucher mehr auf den Preis als auf nachhaltige Produktion achten. Auf einer Gegendemo zum Bürgerprotest macht sich deshalb auch der Berufsstand Luft, Motto: "Wir machen satt."

Die Bundesregierung muss sich trauen, sich mit der Lobby anzulegen

Unversöhnlich stehen sich damit die Kontrahenten in einer regelrechten Kampfzone gegenüber. Der Streit gewinnt an Schärfe, weil die Lücke zwischen gesellschaftlichem Anspruch und der Realität so immer weiter auseinander klafft. Es wäre die Aufgabe des Bauernverbandes, der mächtigen Lobby, jetzt endlich gegenzusteuern. Doch die Funktionäre des Berufsstandes scheitern daran, eine konstruktive Diskussion mit Verbrauchern, Umweltschützern und der Politik zu führen.

So bleibt das Bild einer Branche, die an Besitzständen festhalten will und sich gegen eine grundlegende umweltschonende Reform sträubt. Dabei ist mehr Tier- und Umweltschutz nicht nur möglich. Beides ist zwingend nötig. Ein Weiter-So gefährdet die Produktionsgrundlagen einer ganzen Industrie.

Die Wende im Agrarsektor kann nur mit einem radikalen Politikwechsel gelingen. Die Bundesregierung muss sich trauen, Entscheidungen auch gegen den Willen der einflussreichen Agrar- und Lebensmittellobby durchzusetzen. Sie muss strengere Standards und deren strikte Einhaltung erzwingen. Sie muss die Abhängigkeit der Bauern von wenigen Abnehmern bekämpfen. Letztlich wird es vor allem darum gehen, umwelt- und klimaschonende Landwirtschaft und tiergerechte Haltung für Bauern ökonomisch attraktiv zu machen. Im Zentrum einer neuen Politik muss deshalb stehen, der Agrar-Förderpolitik mit einer stärkeren Ausrichtung auf Umweltbelange eine neue Richtung zu geben.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2016
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