Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelknappheit:Gemüse ist das neue Klopapier

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Britische Supermärkte schränken den Kauf von Obst und Gemüse ein. Tomaten, Paprika, Gurken, Kopfsalat: All das gibt es vorerst nur noch abgezählt. Über Sinn und Unsinn von Rationierung.

Von Michael Kläsgen

Caroline Voadens Vorhaben, Salat zu essen, wurde gestern jäh durchkreuzt. In Totnes, Südengland, gab es keinen mehr. Jonny Fawr lässt seinerseits auf Twitter wissen, in ganz Cardiff, Wales, habe er keine einzige Tomate mehr gefunden, jedenfalls weder bei Sainsbury noch Lidl noch Morrisons. Morrisons und Asda, mit die größten Supermarktketten Großbritanniens, waren kurz zuvor dazu übergangen, Obst und Gemüse zu rationieren. Morrisons erlaubt vorerst nur noch zwei Gurken pro Kunde, Asda immerhin drei Tomaten, drei Paprika und drei (!) Salatköpfe je Person. Auf Social Media häuften sich kurz darauf Fotos von leeren Obst- und Gemüse-Regalen. Denn mit Rationierungen ist das so eine Sache.

Laut Wirtschaftslexikon liegt eine Rationierung vor, "wenn das Güter- und Dienstleistungsangebot nicht ausreicht, um die Nachfrage zu befriedigen". Doch etwas Wichtiges steht nicht drin: Das Tückische ist, dass eine angekündigte Rationierung die Nachfrage erst richtig anfachen kann, und die Regale dann, schwupps, leer sind - und es gar nichts mehr zu rationieren gibt. Gerade bei Lebensmitteln, Gütern des täglichen Bedarfs, kann so eine Rationierung Panikanwandlungen bei manchen Menschen auslösen - selbst wenn sie nicht mit einem übermäßig großen Appetit gesegnet sind. Dazu reicht ein am Tag der Ankündigung zufällig leerer Kühlschrank.

Die Rationierung ist so gesehen die wohlmeinende Schwester vom blöden Bruder Hamstern. Sie, die Kluge, will besonnen sein und an alle denken; er dagegen ist ziemlich egoistisch, aber auch irgendwo rational. Denn er will ja nur vorsorgen, um satt zu werden. Warum Briten nun Obst und Gemüse rationieren beziehungsweise hamstern, Deutsche es eher auf Klopapier abgesehen haben und Franzosen angeblich in Zeiten größter Not Kondomautomaten leerkaufen, ist eine Frage, die die Volkspsychologie berührt und insofern schon per Definition zur Vorsicht mahnt - denn mit Verallgemeinerungen liegt man meist falsch.

Die englischen Nationalgerichte bleiben bis auf Weiteres Fish and Chips, Scones und Co.

Geht man nach dem Ausschlussprinzip vor, kann man feststellen, ohne jemanden zu nahe treten zu wollen, dass der Obst- und Gemüsemangel auf der Insel mutmaßlich nichts mit einem neuen Mega-Trend hin zu gesunder Ernährung zu tun hat. Die englischen Nationalgerichte bleiben bis auf Weiteres unverrückbar Fish and Chips, Yorkshire Pudding und Scones, allesamt Mahlzeiten, bei denen Tomaten oder Paprika eher wie Fremdkörper wirken.

Bemüht man nochmal die Welt der Wirtschaftswissenschaften, erfährt man, dass Rationierung mit Rationalisierung zusammenhängt. Erst sollten alle Rationalisierungspotenziale ausgeschöpft werden in einer Volkswirtschaft, damit das Rationieren ganz vermieden werden kann. Doch da der Brexit nur schwer mit der Ratio in Einklang zu bringen ist, kommt man der Rationierung des Gemüses in England dann doch auf die Spur.

Auch wenn selbst die BBC betont: Das Veggie-Gate hat mit dem Brexit nichts zu tun. Überschwemmungen, Schnee und Hagel in Spanien und Nordafrika hätten die Ernten zerstört. Können wir dem Sender noch vertrauen, fragt Chris Lowndes seinerseits auf Twitter. Er jedenfalls lebe in Polen und habe gestern noch marokkanische und spanische Tomaten kaufen können.

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