Süddeutsche Zeitung

Gigaset-Pleite:Kein Anschluss unter dieser Nummer

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In Bocholt endet es: Gigaset, Marktführer bei Schnurlos-Telefonen, hat kein Geld mehr. Zu viele Menschen benutzen heute Smartphones.

Von Thomas Fromm

In Zeiten, in denen vieles im Fluss ist, auch der Mensch, der ja die meiste Zeit unterwegs ist und sich nur ungern auf irgendetwas festlegen will, in solchen Zeiten sind Festnetztelefone vielleicht wirklich ein Anachronismus. Allein schon der Begriff: Fest! Netz! Telefon. Sehr aus der Zeit gefallen, und da hilft es nur wenig, wenn diese Festnetztelefone schnurlos sind. Der Markt für solche Geräte geht seit Jahren zurück. Agile Menschen, die sich die Dinge gerne offenhalten und das Internet mit sich herumtragen wollen, benutzen Smartphones. Und keine Festnetztelefone.

So war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, wann es den Telefonhersteller Gigaset erwischen würde. Das Unternehmen aus Bocholt im nordrhein-westfälischen Kreis Borken hatte zuletzt 850 Mitarbeiter, am Dienstag kündigte es einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit an. Grund für die Pleite: Ein "unerwarteter und erheblicher Umsatzrückgang im zweiten Halbjahr", die Nachfrage sei immer weiter zurückgegangen, irgendwann dann sei das Geld weg gewesen. Denn der Hersteller baut immer noch vor allem Telefone für jene Menschen, die gerne zu Hause sind und dort kein Smartphone benutzen. Also für wenige.

Smartphones? Die bauen Apple und Samsung

Es war die Abhängigkeit vom alten Geschäftsmodell, die die Firma in die Insolvenz trieb: Im vergangenen Jahr machten Festnetztelefone noch immer einen Großteil des Geschäfts aus; Smartphones dagegen liefen nur so nebenher. Was natürlich auch nicht sehr überraschend ist, denn der Markt für Smartphones wird von den beiden Giganten Apple und Samsung beherrscht. Gigaset? Unter ferner liefen.

Wahrscheinlich war es von Anfang an kein gutes Zeichen, dass schon der große Siemens-Konzern keine Lust mehr hatte auf dieses Geschäft. Dabei hatte alles so gut angefangen. Es waren die frühen Nullerjahre, und Kommunikation und alles, was damit zu tun hatte, war chic, lukrativ, war die Zukunft. Gasturbinen? Röntgengeräte? Industrieautomatisierung? Ach was, Telefone waren das Ding der Zeit. Ich kommuniziere, also bin ich.

Schon Siemens scheiterte an den Telefonen

Die Kommunikationssparte von Siemens wuchs und wuchs, mit ihren Festnetz-, Schnurlos- und Mobiltelefonen und ihren großen Netzwerken landete sie in der Liga der Weltmarktführer. Dann ging es irgendwann bergab, weil andere besser und schneller waren, allen voran Nokia. Bei Siemens, dem alten Industrietanker, hatte man nicht so ganz verstanden, dass sich auch die Art und Weise des Telefonierens mit der Zeit veränderte. Und so ging etwa der Trend zur Telefonie über das Internet an den Münchnern vorbei.

Stück für Stück dann gab der Konzern seine einst so gefeierte Kommunikationssparte auf. Die Handys gingen an den taiwanischen Elektronikhersteller BenQ, die Kommunikationsnetzwerke an den finnischen Rivalen Nokia, die Schnurlostelefone mit der Marke Gigaset verkaufte der Konzern 2008 an die Beteiligungsgesellschaft Arques, einen Finanzinvestor vom Starnberger See. Eine Firma, die sich damals selbst als Partner großer Konzerne "bei der Abspaltung von nicht mehr zum Kerngeschäft gehörenden Randaktivitäten" beschrieb. Randaktivitäten, so weit war es damals schon gekommen.

Mit dem Verkauf sei "das Kapitel der Kommunikationstechnik bei Siemens geschlossen", sagte der damalige Siemens-Finanzchef. Der hieß Joe Kaeser, und Jahre später, da war er längst Konzernchef, spaltete er den Konzern ganz auf und brachte Medizin- und Energietechnik an die Börse. Und Gigaset? Nach Siemens und Arques ging es dann weiter; seit 2014 gehört der Hersteller mehrheitlich dem chinesischen Investor Pan Sutong, der das Unternehmen über seine Investmentfirma Goldin Financial Holdings hält. Jetzt soll das Unternehmen restrukturiert werden, was nicht leicht werden dürfte. Der am Jahresanfang von Bosch zu Gigaset gewechselte neue Vorstandschef Magnus Ekerot sprach nun von einer "ungesunden und einseitigen Geschäftsausrichtung".

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