Süddeutsche Zeitung

Geldpolitik:Mini-Ölpreis bringt Draghi in Not

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Analyse von Markus Zydra, Frankfurt

In diesem Moment spricht der ansonsten ziemlich coole Mario Draghi lauter als sonst. Es geht um die Herzensfrage der Europäischen Zentralbank (EZB). Wann erreicht sie endlich wieder die avisierten zwei Prozent Inflation in der Eurozone? Der EZB-Präsident steht da unter Druck, weil die Teuerung schon viel zu lange nahe null Prozent liegt. Die Furcht vor einer gefährlichen Deflation grassiert. Die Schuld an der Entwicklung trägt vor allem der Ölpreis, der allein seit Dezember um 40 Prozent gefallen ist. "Sollen wir aufgeben, unser Ziel zu erreichen?", fragte Draghi am Donnerstag in Frankfurt rhetorisch, um dann gleich selbst die Antwort zu liefern. "Nein, wir geben nicht auf."

Diese Sätze waren ungewöhnlich, so erlebt man den Italiener bei Pressekonferenzen selten. Man weiß nicht so recht, ob seine starken Worte vielleicht eine veritable Verzweiflung kaschieren sollen. Die Inflation kommt und kommt nicht in Gang. Draghi sagt: "Es gibt keine Grenzen für das, was wir innerhalb unseres Mandats tun werden, um unser Ziel zu erreichen.

Im März möchte er im EZB-Rat die Lage erörtern. Dann gibt es neue Inflationsprognosen der EZB-Experten. Da droht eine harte Auseinandersetzung, denn einige EZB-Ratsmitglieder meinten bei der vorigen Sitzung im Dezember, die EZB habe schon genug getan. Doch gilt das auch jetzt noch, nachdem die Rohstoffpreise so stark gefallen sind? Bleibt der Ölpreis niedrig, wird Draghi alles tun, um eine Mehrheit für neue Geldspritzen zu organisieren.

Die EZB droht an Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn sie ihr Inflationsziel nicht erreicht

Die EZB möchte derzeit bis März 2017 durch den Ankauf von Wertpapieren rund 1,5 Billionen Euro ins Finanzsystem pumpen. Dieses Kaufprogramm läuft seit März 2015, es wurde Ende vergangenen Jahres noch einmal ausgeweitet. Auch der Einlagenzins für Banken wurde abgesenkt. Der Leitzins liegt schon seit 2014 bei 0,05 Prozent. Doch der schnell fallende Ölpreis verhindert, dass die Preise steigen.

Die EZB droht ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn sie ihr Inflationsziel nicht erreicht - die Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten wohlgemerkt. Die meisten Bürger freuen sich über die niedrigen Ölpreise. Selbst Draghi gesteht ein, dass dadurch die Einkommen der Verbraucher steigen. Der sinkende Ölpreis ist auch ein Wachstumsmotor.

Doch die billigen Rohstoffe sind nach Ansicht der EZB auch eine Gefahr.

Draghi ist besorgt, weil die Rohstoffpreise schon seit zwei Jahren sinken, und er ist besorgt, dass sie so rapide fallen wie zuletzt. "Wir befürchten Zweirundeneffekte, wenn die niedrigen Ölpreise zu Preissenkungen in anderen Wirtschaftsbereichen führen", sagte Draghi. Es drohe eine Abwärtsspirale bei der Preisentwicklung. Im Fachjargon spricht man von Deflation.

Dauerhaft sinkende Preise könnten dazu führen, dass Verbraucher ihre Einkäufe aufschieben, weil sie hoffen, das Produkt später noch günstiger zu ergattern. Gleichzeitig fallen die Gewinne der Unternehmen: Da die Löhne unverändert bleiben, sinken bei niedrigeren Verkaufspreisen die Profitmargen. In Japan führte die Deflation zu einer jahrzehntelangen Wirtschaftskrise. Draghi sagt: "Wir sehen die Abwärtsspirale bei den Preisen noch nicht, aber wir wollen das definitiv verhindern."

Die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB im Frühjahr noch einmal zulegen wird, ist damit hoch. "Falls der Ölpreis in einer Spanne von 30 bis 35 Dollar bleibt, könnte die Inflation bald wieder negativ werden und dies für einige Monate bleiben", sagt der Chefvolkswirt der italienischen Großbank Unicredit, Marco Valli. Die Währungshüter müssten ihre Inflationsprognose für 2016 dann auf nahe Null von bislang ein Prozent deutlich kappen. Der Grund: Die EZB hatte im Dezember in ihren jüngsten Konjunktur- und Inflationsprognosen für 2016 noch einen Öl-Preis von 52,20 Dollar angenommen. Aktuell notiert das Barrel Öl bei etwa 28 Dollar. Aus dem Iran fließt bald zusätzliches Öl auf den Markt. Die EZB wurde wieder einmal kalt erwischt.

Die Aussicht auf frisches EZB-Geld verursachte am Donnerstag Bewegung an den Devisenmärkten. Der Euro fiel gegen den US-Dollar auf 1,08 Dollar. Mehr billiges Geld und die niedrigen Zinsen senken die Nachfrage nach dem Euro. Internationale Investoren kaufen lieber den US-Dollar, da gibt es mehr Rendite. Die EZB möchte den Euro schwächen, um die Exportkraft der Euro-Zone zu stärken.

"Die EZB wird im März sehr wahrscheinlich nachlegen. Meiner Ansicht nach wird sie den Einlagenzins senken und die Anleihenkäufe ausweiten, nachdem das im Dezember nicht geschehen ist", sagt Holger Sandte, Europa-Chefvolkswirt der skandinavischen Bank Nordea. Die EZB könne noch eine Menge tun, aber Schub für die Wirtschaft komme eher vom tiefen Ölpreis, nicht so sehr von der Geldpolitik.

Draghi steht auf dem Drahtseil. Der niedrige Ölpreis stützt die Wirtschaft und gefährdet die Reputation der EZB.

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SZ vom 22.01.2016
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