Süddeutsche Zeitung

Aktienmarkt:Finger weg von Börsengängen

Lesezeit: 3 min

Viele Anleger wollen bei neuen Aktien unbedingt dabei sein. Doch jetzt kühlt sich die Stimmung für Börsengänge plötzlich ab. Eine gefährliche Mischung.

Kommentar von Victor Gojdka

Eigentlich konnte von einem Börsengang keine Rede sein, als Ulrich Schumacher den Kapitalmarkt anzapfte. Der einstige Chef des Chipherstellers Infineon ging nämlich nicht an die Börse, Schumacher fuhr im März 2000 vor. Ach was, er raste. Mit einem silberglänzenden Porsche düste der Unternehmenslenker auf den Frankfurter Börsenplatz, nicht einmal den Rennhelm hatte er vergessen. Schumacher schuf damit das Fotomotiv zur wilden Börsenzeit: Alle Unternehmen wollten rasend schnell ans Parkett - und die Privatanleger möglichst viele Aktien in ihre Depots schaufeln.

Nach der Euphorie interessierten sich viele Jahre nur noch Experten für die Neulinge am Parkett. Doch jetzt werden Börsengänge abermals zum Volkssport. Im Zockerrausch dieses Jahres treffen Novizen auf Novizen: neue Unternehmen auf eine neue Generation von Anlegern. Wie zu Dotcom-Zeiten träumen selbst konservative Sparer von plötzlichen Preissprüngen und gigantischen Gewinnen. Während die Manager auf den Führungsetagen allerdings sehr genau wissen, was sie tun, steigen für Anleger die Risiken.

Was viele der neuen Aktienzocker noch gar nicht mitbekommen haben: Die Finanzprofis bekommen längst kalte Füße. Der Börsengang des vermeintlich hippen Lieferdienstes Deliveroo in London geriet kürzlich zum Debakel, die Online-Plattform Mein Auto musste ihre Frankfurter Börsenpläne vor wenigen Tagen kassieren - und selbst in den internetaffinen Vereinigten Staaten kollabieren nun die Kurse von neuen Techunternehmen am Parkett. So startete die Kryptoplattform Coinbase im April zu 381 Dollar umjubelt in den Handel und krachte nun binnen nur sechs Wochen auf rund 240 Dollar.

Die Finanzprofis haben längst kalte Füße bekommen

Das alles sollte soliden Sparern eine Warnung sein: Finger weg von Börsengängen, so einfach ist das. Erstens hübschen die Unternehmenslenker ihre Zahlenwerke vorher meistens künstlich auf, was für Laien kaum zu erkennen ist. Zweitens verkaufen bei vielen Börsengängen bloß die Alteigentümer große Aktienpakete, laden sie bei Privatanlegern ab, um sich selbst die Taschen vollzuschaufeln. Und drittens können Sparer nicht einmal auf Bankanalysten vertrauen, die mit ihrem notorischen Optimismus meist eher den Aktienhandel der eigenen Bank ankurbeln als unabhängig zu beraten. Mit solider Geldanlage hat das Bohei um die Börsenneulinge also nur wenig zu tun, dafür umso mehr mit Lottospielerei. Gut getarnt hinter hochtrabenden Finanzvokabeln.

Wer als Privatanleger bei den neun Börsengängen am Frankfurter Parkett dieses Jahr von Anfang an dabei war, kam nach SZ-Kalkulationen im simplen Durchschnitt nur auf ein mageres Plus von 1,9 Prozent. Zum Vergleich: Der Weltindex MSCI World hätte Anlegern seit Jahresbeginn rund elf Prozent beschert.

Lukrativ wurden die Börsengänge nur für Anleger, die nicht erst mit Handelsstart dabei waren, sondern bereits im Vorverkauf der Aktien - bei der sogenannten "Zeichnung". Hier verteilen Investmentbanken die Aktien der künftigen Parkettneulinge nach ihrem Gutdünken bereits vorab und kungeln einen Preis aus. Wer bei allen Börsengängen dieses Jahr auf diese Weise Aktien aufschnappte, hätte im Durchschnitt 10,6 Prozent Gewinn gemacht.

Wer beim Vorverkauf dabei sein will, muss Extra-Gebühren zahlen

Doch diese Zahl ist eine optische Täuschung: Wollen Sparer von vornherein dabei sein, müssen sie ihren Banken oft Spezialgebühren zahlen. Wer die vorher kennen will, läuft im Internet oft ins Leere, muss die Tantiemen telefonisch erfragen. Zweitens müssen Hobbyanleger manchmal sogar eine Mindestmenge an Aktien ordern, was gerade für Sparer mit kleinen Geldbörsen nicht sinnvoll ist. Und drittens hat nicht jeder Billigbroker gute Drähte zu den elitären Investmentbanken, um überhaupt vorab an die Aktien zu gelangen.

Immer deutlicher wird außerdem, dass Frankfurt im internationalen Börsengeschäft bloß noch den Geruch aromatischer Landluft verbreitet. Die Impfstoffmacher von Curevac sprangen im vergangenen Jahr ausgerechnet in New York ans Parkett. Auch die Handydisplay-Hersteller von Via Optronics aus Nürnberg wollten lieber den großen Aufschlag in New York. Nicht einmal das Online-Modehaus Mytheresa wagte seinen Börsengang in Frankfurt.

Wer beim Börsenhype trotzdem dabei sein will, sollte sich eine Checkliste machen: Wollen Firmengründer oder Alteigentümer beim Sprung ans Parkett bloß ihre Anteile loswerden, ist Vorsicht angesagt. Stottert das Unternehmen mit den Einnahmen nur alte Schulden ab, sollten Anleger zweimal hinschauen. Und dann sollten Anleger auch an den Infineon-Chef mit seinem silbernen Formel1-Porsche denken: Wer an der Börse Rennauto fahren will, muss besonders mit dem Crash rechnen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5306179
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.