Süddeutsche Zeitung

Energie:Was die EU gegen die hohen Preise für Gas und Strom plant

Lesezeit: 3 min

Noch bestimmt das teuerste Kraftwerk den Preis auf den europäischen Strommärkten. Hohe Gaspreise machen so auch Strom teurer. Die EU-Kommission prüft nun, die Regeln zu ändern.

Von Björn Finke, Luxemburg

Gemeinsamer Gaseinkauf, neue Regeln für den Strommarkt: Die EU-Kommission erwägt weitreichende Initiativen als Reaktion auf die rasant steigenden Gas- und Elektrizitätspreise. Zugleich offenbart die Debatte darüber wieder die Gräben zwischen den EU-Regierungen bei der Energiepolitik. Am Montag und Dienstag diskutierten die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen in Luxemburg das heikle Thema. Olaf Scholz ließ sich von seinem Staatssekretär vertreten. Doch die wichtigste Aussage des Tages wurde ohnehin 1600 Kilometer weiter nordöstlich getroffen, in der estnischen Hauptstadt Tallinn.

Dort kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag auf einer Pressekonferenz an, dass man sich anschauen müsse, ob und wie der Strom- vom Gaspreis entkoppelt werden könne. Außerdem sollten sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen in zwei Wochen mit den strategischen Gasreserven der EU beschäftigen. Von der Leyens Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hatte bereits zuvor in Luxemburg erklärt, dass seine Behörde über die gemeinsame Beschaffung von Gas für die Mitgliedstaaten nachdenke - Ergebnisse könnten Mitte Dezember präsentiert werden, zusammen mit anderen EU-Gesetzen zum Energiemarkt. Es sei aber noch "zu früh" für Details.

Von der Leyen und Gentiloni greifen damit Forderungen von Spanien und Frankreich auf. Spaniens Regierung argumentiert, die EU solle sich ein Beispiel am Erfolg der gemeinsamen Bestellung von Covid-Impfstoffen nehmen. Würde die Union auf diese Weise Gas ordern, hätte sie mehr Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten und könnte günstig strategische Reserven aufbauen, die gegen rasante Preiserhöhungen helfen würden, heißt es aus Madrid.

Außerdem treten Spanien und Frankreich dafür ein, die Regeln für den Strom-Großhandelsmarkt zu ändern. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagte vor dem Treffen in Luxemburg, er könne "es nicht länger akzeptieren, dass sich die Strompreise nach den Gaspreisen richten". Nötig sei vielmehr "eine direkte Verbindung zwischen den Durchschnittskosten der Elektrizitätsproduktion in allen Ländern und den Preisen, die Verbraucher zahlen". Bisher bestimmt das teuerste Kraftwerk den Preis auf den europäischen Strommärkten.

Frankreich fühlt sich benachteiligt, weil sich die Preise nach teuren Gaskraftwerken richten

Dies führt zu niedrigen Preisen, wenn die Nachfrage mit Wind-, Wasser-, Solar- und Kernkraftwerken gedeckt werden kann, die sehr geringe laufende Kosten haben. Doch im Moment ist es auch nötig, teures Gas in Kraftwerken zu verbrennen: Damit steigen die Strom- mit den Gaspreisen. Das findet Frankreichs Minister Le Maire besonders unfair, weil sein Land Strom vergleichsweise billig produziert - dank der vielen Atommeiler. Da aber bislang nicht die nationalen Durchschnittskosten für den Strompreis ausschlaggebend sind, orientierten sich Frankreichs Preise an teuren Gaskraftwerken "in Deutschland und sonstwo", klagte Le Maire vorige Woche in einer Rede.

Reformen dieses Systems wurden schon in der Vergangenheit immer mal wieder gefordert - ohne Ergebnis. Aber nun macht sich auch Kommissionschefin von der Leyen die Kritik zu eigen. Ihre Behörde will außerdem kommende Woche einen sogenannten Werkzeugkasten präsentieren: Empfehlungen, wie Mitgliedstaaten kurzfristig die Folgen der hohen Preise für Verbraucher und Firmen mildern können.

Ursprünglich sollte der Ratgeber schon am Dienstag vorgelegt werden, doch die Kommission will sich weiter mit den Regierungen austauschen. Kommissar Gentiloni betonte beim Ministertreffen, es sei wichtig, dass diese nationalen Hilfsprogramme "befristet und gezielt" seien und "den Binnenmarkt und die Regeln für Subventionen respektieren". Die Regierungen in Spanien und Italien haben bereits die Steuern auf Energie gesenkt, Frankreich deckelte die Strom- und Gaspreise.

Dass sich auch Gentilonis Chefin von der Leyen bei dem Thema engagiert, zeigt, wie ernst die Kommission die Gaspreis-Krise nimmt. Kein Wunder: Schließlich könnte die Debatte über Auswirkungen für Bürger Teile des Grünen Deals gefährden, des ehrgeizigen Klimaschutzprogramms der EU. So warnte Polens Regierung vor dem Ministertreffen, die EU müsse nun bei ihrem Klimaschutz-Paket "gründlich" über dessen soziale Folgen nachdenken, etwa beim Plan, den Emissionshandel auf Wohnen und Verkehr auszuweiten. Dieser Vorschlag der Kommission würde Benzin sowie Öl und Gas zum Heizen verteuern. Das sahen viele Regierungen ohnehin kritisch - schon vor den Erfahrungen der vergangenen Wochen.

Paris wirbt für die heimische Kernkraft und stellt sie als klimafreundliche Alternative dar

Frankreich nutzt den Ärger beim Gas zugleich als Argument, um für Kernkraft zu werben. "Wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen wollen, brauchen wir Atomkraftwerke und mehr Investitionen in Kernenergie", sagte Le Maire in Luxemburg. Ein Streitpunkt in der EU ist, ob Atommeiler als grüne Investments zählen sollen. Die Kommission erstellt gerade eine sogenannte Taxonomie, einen umfassenden Kriterienkatalog, der bestimmt, welche wirtschaftlichen Aktivitäten umwelt- und klimafreundlich sind. In den kommenden Wochen wird die Behörde den Rechtsakt zur Bewertung von Kernkraft vorlegen, und diese Regelung will Le Maire in seinem Sinne beeinflussen. Andere Regierungen wie die deutsche und österreichische lehnen ein grünes Siegel für Atommeiler dagegen ab.

Offenbar plant die Kommission nun, eine eigene Kategorie für Atom- und Gaskraftwerke zu schaffen. Sie sollen nicht als grün gelten, aber als nötige Übergangstechnologie mit vergleichsweise geringem Ausstoß an Treibhausgasen. Frankreichs Regierung könnte mit diesem Kompromiss leben, heißt es aus Paris. Trotzdem lässt Le Maire weiter keine Gelegenheit aus, die Vorzüge von Kernkraft für die EU zu preisen. Sicher ist sicher.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5431224
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.