Süddeutsche Zeitung

Flugsicherung:"Der Himmel soll sicher sein und frei"

Lesezeit: 4 min

Vor einem Jahr startete Arndt Schoenemann als neuer Chef der Deutschen Flugsicherung mitten in der großen Branchenkrise. Er wird für seine Arbeit von vielen gelobt, aber nun führt der Ukraine-Krieg dazu, dass sich der erhoffte Aufschwung verzögert.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Arndt Schoenemann hat die guten Zeiten in der Luftfahrtbranche voll mitbekommen. Zwölf Jahre lang war er Geschäftsführer der Liebherr Aerospace Lindenberg, die unter anderem Fahrwerke für Airbus und Boeing-Maschinen baut. Vom Boom im Luftverkehr bis Anfang des Jahres 2020 profitierten auch die Zulieferer enorm. Und wegen der Fahrwerke etwa gab es enge Verbindungen nach Russland, das unter anderem Titan lieferte, ein besonders festes Metall, das die vor allem bei der Landung extremen Belastungen des komplexen Bauteils auffangen soll.

Seit fast genau einem Jahr ist der 57-Jährige Chef der Deutschen Flugsicherung (DFS) und muss nun dort im übertragenen Sinne eine besonders harte Landung moderieren. Seit 2020 waren dem staatlichen Unternehmen wegen der Corona-Pandemie die Einnahmen weggebrochen, die Lücke musste über eine Kapitalerhöhung geschlossen werden. Dann musste Schoenemann in einer Zeit, die für Airlines finanziell kaum zu überstehen war, die Gebühren erhöhen - denn die Kosten der Flugsicherung werden per Regulierung durch die (nun viel geringere) Zahl der Flüge geteilt, schon in einigermaßen normalen Zeiten immer ein Aufreger in der Branche. 2021 zählte die DFS nur halb so viele Flüge wie 2019. Und nun der Krieg in der Ukraine: Lufträume sind geschlossen, Langstreckenjets müssen Russland und die Ukraine weiträumig umfliegen, die wirtschaftliche Lage ist länger schwierig als gedacht.

Die vielen Umwege führen derzeit für die DFS zu mehr Flugaufkommen: 20 Prozent mehr Flüge mussten Ende Februar geführt werden. Natürlich ein winzig kleines Problem, angesichts des Krieges und dessen Folgen. "Luftfahrt wurde erfunden, um Grenzen zu überwinden und den Austausch von Gütern und Menschen zu ermöglichen. Dass nun Überflugrechte eingeschränkt werden und Staaten wechselseitig ihre Lufträume sperren, ist das genaue Gegenteil dieser Idee", sagt Schoenemann. "Der Himmel soll sicher sein und frei - für alle Menschen, ganz egal, ob es Ukrainer, Russen, Amerikaner, Japaner, Franzosen oder Deutsche sind."

Anders als sein Vorgänger Klaus-Dieter Scheurle, der als ehemaliger Staatssekretär aus der Politik in die Branche gewechselt war, ist Schoenemann seit Jahrzehnten ein äußerst gut vernetzter Luftfahrt-Manager. Seit 2005 ist er Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), seit 2011 sogar Vize-Präsident. Auch in der Aerospace and Defence Industries Association of Europe (ASD) war er lange aktiv. Trotz aller möglicher Konfliktpunkte mit Airlines oder Flughäfen ist es erstaunlich ruhig geblieben um Schoenemann - in diesem Fall ein gutes Zeichen. Ein Brüsseler Insider sagt, man sei beeindruckt darüber, dass der DFS-Chef es wirklich ernst meine mit niedrigeren Kosten und höherer Effizienz seines Unternehmens. In Lufthansa-Kreisen schätzt man es, dass Schoenemann vor allem unternehmerisch und nicht politisch an seinen Job herangeht.

Die DFS ist rund um die Uhr im Einsatz - auch wenn nicht geflogen wird

"Wir haben die Kosten deutlich reduziert, einen Corona-Tarifvertrag vereinbart. Durch den Grundservice können wir aber nicht so stark sparen wie andere," sagt Schoenemann. "Wir haben einen hoheitlichen Grundauftrag zu erledigen, rund um die Uhr. Wir müssen den Luftraum immer offen halten. Selbst wenn kein einziges Flugzeug fliegt, müssen wir einen Minimal-Service aufrechterhalten." Grundkosten gebe es also immer. Und wenn mehr geflogen werde, "brauchen wir mehr Personal und Technik. Das alles kostet Geld".

Und damit Gebühren: "2019 hatten wir viel Verkehr, 2020 und 2021 wenig, jetzt greift die Systematik, und die Gebühren gehen nach oben. Es ist völlig klar, dass das den Luftraumnutzern nicht gefällt", so Schoenemann.

Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung hat nun nach einem komplizierten Verfahren "eine angemessene Steigerung der Gebühren, die vom Verkehr ableitbar ist", festgelegt, so Schoenemann. In Zahlen: 68 Prozent mehr kosten künftig Starts und Landungen, Überflüge werden um 13 Prozent billiger. Bei einem Flug von Hamburg nach München mit einem vollbesetzten Airbus A320 kostet die Flugsicherung pro Passagier nun etwa vier Euro. Die DFS hat zudem eine Kapitalerhöhung von 300 Millionen Euro des Bundes bekommen und 500 Millionen an Darlehen bei Banken aufgenommen. Dabei profitiert die DFS davon, dass sie dem Bund gehört und mit AAA eine hohe Bonität hat. "In den nächsten Jahren werden Tranchen fällig, die wir zurückzahlen müssen", so der DFS-Chef.

Die weitere Finanzierung und damit die Gebühren werden ein Thema bleiben. Denn Schoenemann argumentiert, dass "die Leistungsplanung von Eurocontrol aus unserer Sicht zu optimistisch ist. Wenn sie zu optimistisch planen, sinken die Gebühren (pro Flug)." Die Einschätzung berücksichtigt noch nicht einmal die Folgen des Ukraine-Krieges, die sich aber wohl in einem deutlich langsameren Wachstum des Luftverkehrs zeigen werden. "Die Eurocontrol-Prognose geht von 88 Prozent des 2019er-Niveaus aus, wir gehen von 75 bis 80 Prozent für 2022 aus", sagt Schoenemann. "Diese Lücke muss irgendwie ausgeglichen werden, wenn der Verkehr nicht kommt. Wenn die Prognose zutrifft, kommen wir Spitz auf Knopf zurecht." Im Laufe des Jahres müsse die DFS aber noch einmal einen Kredit aufnehmen, wahrscheinlich wird es Schoenemann zufolge ein Gesellschafter-Darlehen des Bundes.

Es ist aber nicht nur die immer noch geringe Zahl der Flugbewegungen, die der DFS zu schaffen macht. Auch die Art und Weise, wie die Fluggesellschaften fliegen, hat sich drastisch verändert. "Wir haben massive Peaks an den Wochenenden und morgens und abends. Samstag und Sonntag waren die verkehrsreichsten Tage, das war vor Corona überhaupt nicht so", sagt Schoenemann. "Da merkt man den massiven Nachholbedarf bei Urlaubsreisen." Und planbar ist das Programm auch nicht mehr so richtig: "Die Airlines aktualisieren teilweise auf Wochenbasis. Dass ein ganzer Sommer- oder Winterflugplan einfach so abgeflogen wird, das gibt es heute nicht mehr."

2025, das ist das Jahr, in dem Schoenemann mit der Rückkehr zum Vorkrisenniveau rechnet, er ist damit vorsichtiger als die meisten. Für die DFS bedeutet das aber trotzdem, dass sie schon jetzt wieder neue Lotsen schulen muss, denn die Ausbildung dauert drei bis vier Jahre. Die Krise schafft auch hier neue Probleme: "Aufgrund des geringen Verkehrs konnten wir jetzt gar nicht genügend Leute ausbilden, denn es findet viel Training on the job statt. Das geht aber nicht, wenn kein Luftverkehr stattfindet."

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