Süddeutsche Zeitung

Euro-Zone:Es kommt jetzt auf Frankreich an

Lesezeit: 4 min

Präsident Emmanuel Macron ist nach den Wahlen geschwächt. Beginnen die Finanzmärkte, nun auch an Frankreich zu zweifeln? Die Stabilität der gesamten Euro-Zone steht auf dem Spiel.

Von Alexander Hagelüken und Michael Kläsgen, München

Wahlen sind erst mal nur eine nationale Angelegenheit. Das war am Sonntag in Frankreich nicht anders. Aber so, wie die Parlamentswahlen ausgegangen sind, wird das Votum der Franzosen auch Folgen für Europa haben. Genauer gesagt: für die Stabilität der gesamten Euro-Zone. Frankreich kommt dabei seit Sonntag die Schlüsselrolle zu.

Die Situation in der Euro-Zone droht in Zukunft um einiges komplizierter zu werden. Entspannt war sie auch vor Sonntag nicht: Die Verwerfungen in der Weltwirtschaft von Inflation bis hin zu Lieferengpässen treffen einzelne Euro-Länder unterschiedlich stark. Jetzt kommt noch die Zinswende hinzu. Wichtige Notenbanken erhöhen die Leitzinsen, damit wächst der Druck auf die Staaten, ihre Schulden zu tilgen. Sparen oder zumindest ein Herunterfahren der Staatsausgaben wären nun angezeigt. Doch die neuen Mehrheitsverhältnisse im französischen Parlament machen eine Konsolidierung des Haushalts so gut wie unmöglich.

Der europafreundliche Präsident Emmanuel Macron ist zwar wiedergewählt worden, er verlor aber die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Die Extreme links und rechts im Parteienspektrum gingen hingegen gestärkt aus der Wahl hervor. Und die halten wenig vom Senken der Staatsausgaben. Das könnte nicht nur innenpolitische Folgen im zweitgrößten Euro-Land haben, sondern die Lage in der gesamten Euro-Zone verschärfen.

Seit Tagen wachsen die Sorgen, dass die für Juli angekündigte Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) den Euro in Turbulenzen stürzt. Die Renditen italienischer Staatsanleihen stiegen bereits. Beginnen die Finanzmärkte, nun auch an Frankreich zu zweifeln? Das würde die Währungsunion auf die Probe stellen. Entscheidend ist nun, ob Macron die Staatsschulden im Zaum halten kann. Doch selbst wenn er das wollte, wäre es schwierig.

Noch kann von einer neuen Euro-Krise wie vor gut zehn Jahren keine Rede sein. Aber ein gewisses Misstrauen gegenüber Frankreichs künftiger Schuldenpolitik ist an den Finanzmärkten bereits deutlich geworden. Anzeichen dafür sind die Renditen für 10-jährige französische Staatsanleihen. Sie zogen geringfügig an, schon vor der Wahl. Der Anstieg ist zwar nicht zu vergleichen mit dem bei italienischen Anleihen, er bewegt sich eher auf dem Niveau von südlichen Staaten wie Spanien oder Portugal. Andererseits war die Rendite deutscher Anleihen, die als die sichersten im Euro-Raum gelten, zuletzt tendenziell sogar rückläufig.

Mit anderen Worten: Die Kreditqualität Frankreichs entfernte sich ein wenig von der nordeuropäischer Euro-Länder und näherte sich den schwächeren Ländern an. In einer für Europa ohnehin schon turbulenten Zeit kommt diese Nachricht zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Auf Frankreich kommt es daher nun an. Wegen seines wirtschaftlichen Gewichts entscheidet das Land maßgeblich mit darüber, wie künftig mit der Staatsverschuldung der Euro-Staaten verfahren wird.

"Ein großer Teil der Zukunft der Euro-Zone liegt heute in den Händen Frankreichs"

"Alles wird von der Glaubwürdigkeit der Politik zur Sanierung der öffentlichen Finanzen abhängen", sagt Agnès Verdier-Molinié, Chefin des Pariser Thinktanks Ifrap. "Denn davon hängt letztlich die Stabilität der Euro-Zone ab." Die EZB suche derzeit bereits nach einem Mechanismus, mit dem eine "Fragmentierung" der Euro-Zone verhindert werden soll. Verdier-Molinié ist skeptisch, dass dies allein ausreichen wird, um einen möglichen Zerfall in Nord- und Südländer zu verhindern. "Ein großer Teil der Zukunft der Euro-Zone liegt heute in den Händen Frankreichs", sagt sie.

Der französische Ökonom Patrick Artus rechnet damit, dass die Renditen für 10-jährige französische Anleihen bis Jahresende von derzeit 2,2 auf etwa drei Prozent steigen könnten, was immer noch kein beunruhigendes Niveau wäre. Doch die Schuldenlast für den Staat würde sich dadurch in Anbetracht einer Staatsverschuldung von 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts signifikant erhöhen. Zum Vergleich: Die deutsche Schuldenquote liegt aktuell bei 69 Prozent. Um die Verschuldung deutlich zu senken, wären Ausgabenkürzungen im Umfang von 80 Milliarden Euro erforderlich, sagt Artus. Doch gegenwärtig habe die Regierung "keinerlei Idee", wie sie das bewerkstelligen könnte. Die von Macron anvisierte Rentenreform brächte nur Ersparnisse von zehn Milliarden Euro pro Jahr. Sie gegen den Widerstand von Rechten und Linken im Parlament durchsetzen zu wollen, berge aber in Anbetracht der neuen Mehrheiten ein "großes politisches Risiko". Die Frage sei, ob die Rentenreform Macron das wert sei.

Der französischen Regierung fehlt somit nicht nur ein Plan zum Schuldenabbau. Dem Präsidenten wären zudem bei egal welchem Sparvorhaben quasi auch die Hände gebunden. "In jedem Fall ist mit erheblichem Widerstand im Parlament und auf der Straße zu rechnen", sagt Charles-Henri Colombier, Ökonom des Forschungszentrums Rexecode.

Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel sieht das Risiko, dass die französischen Staatsschulden zu stark steigen. Die Außenstände des Landes wichen seit einiger Zeit von den deutschen Schulden ab. "Das ist aber erst mal kein Problem, weil Frankreich anders als etwa Italien gutes Wirtschaftswachstum und hohe Produktivität aufweist", so der Bruegel-Direktor. "Es braucht jetzt trotzdem einen gewissen Ruck, um das Haushaltsdefizit und die Schulden zu reduzieren. Das ist schwer, wenn man keine Mehrheit im Parlament hat." Wolff rechnet mit einem größeren Druck aus Frankreich auf Europa, den Stabilitätspakt stärker zu lockern und dadurch mehr Verschuldung zu erlauben.

Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) weist darauf hin, dass Macron die Stabilitätsregeln schon in seiner ersten Amtsperiode verändern wollte. Durch den Verlust der parlamentarischen Mehrheit werde er es schwieriger haben, seine Vorschläge in Europa zu vertreten. "Man dachte, er ist der stärkste Politiker der drei großen Staaten Frankreich, Deutschland und Italien, weil Olaf Scholz unter Druck steht und Macron für weitere fünf Jahre gewählt ist. Aber nach dem Dämpfer bei der Parlamentswahl wirkt er geschwächt", so der IMK-Direktor.

Verschiedene Ökonomen betonen, dass Macron abgesehen vom Eindruck eines Dämpfers außenpolitisch noch am meisten Spielraum hat. Für die europapolitischen Felder wie neue Handelsverträge oder weniger Energieabhängigkeit von Russland brauche ein französischer Präsident kaum die Zustimmung des Parlaments.

Was die internationale Wettbewerbsfähigkeit angeht, stellt Dullien dem Land ein gutes Zeugnis aus. Bei Wachstum und Produktivität schneide das Land ganz gut ab. Französische Ökonomen wie Artus und Verdier-Molinié sehen das kritischer. Sie halten das auf 100 Milliarden Euro angestiegene Außenhandelsdefizit Frankreichs für ein klares Zeichen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Um sie zu stärken, sei ein langer Atem nötig, sagt Artus, und Investitionen in Schule und Ausbildung. "Das ist die Basis von allem", sagt er. "Ohne gut ausgebildete Köpfe ist alles andere nichts."

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