Süddeutsche Zeitung

Euro-Krise:Diesen Deal wollte Tsipras nicht

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Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Bundesregierung macht sich den Inhalt nicht zu eigen. Mit diesem in roter Schrift gehaltenen Vermerk traf am Freitag eine vertrauliche E-Mail (nur für den Dienstgebrauch) bei Abgeordneten des Bundestages ein. Sie enthielt im Anhang sechs "Dokumente für die Euro-Gruppe" und damit das, was Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem gleichzeitig in Brüssel stattfindenden EU-Gipfeltreffen als "großzügiges Angebot" an Griechenland bezeichnete, zu dessen Annahme sie Ministerpräsident Alexis Tsipras ermunterte. Um die Ereignisse der folgenden Stunden rekonstruieren zu können, lohnt der Blick in die seither bekannt gewordenen Dokumente, die das Angebot der Gläubiger beschreiben.

Am Freitagvormittag fanden Abgeordnete einiger nationaler Parlamente in der Euro-Zone die Vorschläge der Institutionen - Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds - in ihrem elektronischen Postfach vor, die diese nach monatelangen Gesprächen mit den Griechen für das Treffen der Euro-Finanzminister am Samstag zusammengestellt hatten.

Die sogenannte Einigung auf Arbeitsebene sollte von den Finanzministern beraten und beschlossen werden. Dann sollte das Parlament in Athen abstimmen, danach einige nationale Parlamente, schließlich hätten die Finanzminister den Euro-Rettungsfonds beauftragen können, noch verbliebene Finanzmittel auszuzahlen.

Dazu kam es nicht. Tsipras lehnte das Angebot ab und kündigte ein Referendum an. Seither steht die Frage im Raum, was genau das Angebot umfasste. Waren es Spar- und Reformpläne und daran gekoppelt Auszahlungen - wie es Athen sagt? War ein Investitionspaket dabei - wie es SPD-Chef Sigmar Gabriel und andere Mitglieder der Bundesregierung erläuterten? War gar ein drittes Hilfsprogramm mit Schuldenerleichterungen dabei - wie vertraulich in Berlin kolportiert wird?

Ein milliardenschweres Investitionspaket, das in Wahrheit keines ist

Das aufzuklären, helfen die vertraulichen Dokumente. Danach bestand das Angebot vom Freitagmittag aus folgenden Dokumenten: einer zweiseitigen Analyse der Schuldentragfähigkeit Griechenlands, einem Auszahlungsplan, einem neun Seiten umfassenden Tischkompromiss (in dem die Institutionen aufzählen, welche Maßnahmen Athen sofort ergreifen müsse), einer inhaltlich ähnlich gehaltenen Liste von Sofortmaßnahmen, einer als Erinnerungshilfe bezeichneten Aufstellung von Reformen, die nötig seien, damit Athen selbständig wirtschaften kann, und einem ausführlichen technischen Memorandum, in dem alle Begriffe und Kriterien geklärt werden.

Aus den Dokumenten geht hervor, dass die Gläubiger Athen eine Verlängerung des Programms bis November anbieten. Die noch im Euro-Rettungsfonds EFSF vorhandenen Finanzhilfen sollen in vier Tranchen bis Oktober ausgezahlt werden. Auf Seite 1 des Dokumentes Erinnerungshilfe finden sich die von SPD-Chef Gabriel erwähnten 35 Milliarden Euro - allerdings nicht als besonderes Investitionspaket. Die Summe von etwas mehr als 35 Milliarden Euro umfasst die förderfähigen Zuschüsse, die Griechenland in den Jahren 2014 bis 2020 aus dem Strukturfördertopf der Europäischen Kommission abrufen kann - und zwar sowieso, wie andere Länder auch.

In der vergangenen Periode 2007 bis 2013 hatte Athen insgesamt 38 Milliarden Euro zur Verfügung, konnte diese aber nicht abrufen, weil die Regierung dazu eine Co-Finanzierung bereitstellen muss. Weil Griechenland aber kein Geld hat für Co-Finanzierungen, auch nicht, um den ermäßigten Satz von 15 Prozent der Gesamtkosten eines förderungsfähigen Projektes zu zahlen, kann es diese Mittel nicht (vollständig) abrufen und würde es auch in Zukunft unter den gegebenen Umständen nicht können.

Aus dem Dokument Schuldentragfähigkeitsanalyse geht hervor, dass alle drei Institutionen ein drittes, über drei Jahre laufendes Hilfsprogramm für nötig erachten. Griechenlands Schuldenberg werde in "allen Szenarien" deutlich über dem im November 2012 festgelegten Ziel liegen, hieß es. Damals war festgelegt worden, dass die Gesamtschuld in Bezug auf das Bruttosozialprodukt im Jahr 2022 "deutlich unter 110 Prozent" liegen sollte. Erwähnt wird, dass der IWF eine "klare Umschuldung" fordert, damit eine weitere Finanzierung sinnvoll ist - was bedeuten würde, dass jede Rückzahlung der Schulden zunächst aufgeschoben wäre. Ein konkretes Angebot der Gläubiger für ein drittes Programm oder die geforderte Umschuldung findet sich in den Dokumenten allerdings nicht.

Angesichts der erhitzten Diskussionen hat die EU-Kommission am Sonntag den allerletzten Stand der Verhandlungen veröffentlicht, die Freitag um Mitternacht abgebrochen wurden, als Tsipras das Referendum ankündigte. Danach hatten sich beide Seiten angenähert bei der Liste von Sofortmaßnahmen. Ein Angebot zur Umschuldung wurde - jedenfalls schriftlich - auch zu diesem Zeitpunkt nicht unterbreitet.

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SZ vom 30.06.2015
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