Süddeutsche Zeitung

Euro:Deutschland muss endlich großzügiger werden

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Wenn die Euro-Länder den ewigen Kreislauf aus Schulden und Krise durchbrechen wollen, müssen Reformen her. Das mächtigste Land sollte den Anfang machen. Jetzt.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Seit sieben Jahren ist Griechenland ein fremdbestimmter Staat. In der Politik nennt man das einen Transferleistungsempfänger, der sich von einer Milliardengabe zur nächsten hangeln muss. Ein Ende ist nicht absehbar. Schon jetzt ist das Kreditkorsett bis zum Jahr 2060 fest geschnürt. Seit sieben Jahren wird über diese Schulden gestritten, und dabei ist so etwas wie ein Mahnmal entstanden. Denn hinter dem Problem mit Athen verbirgt sich eine größere Gefahr: Jene Währung, die Europas Staaten noch stärker miteinander verbinden sollte, ist in Wahrheit der Spaltpilz des Kontinents. Der Euro ist auch Krisengeld.

Die Mischung hat es in sich: Weite Teile Südeuropas haben sich noch immer nicht von der Euro-Krise der Nullerjahre erholt. Eine Generation junger, arbeitsloser Europäer hat Angst, abgehängt zu bleiben. Weil die EU ihr Wohlstandsversprechen nicht mehr einlösen kann, suchen diese Leute nach Schuldigen. Viele machen die deutsche Sparpolitik für ihre Lage verantwortlich. Das mag falsch und ungerecht sein, gespart wird kaum noch irgendwo. Aber der Vorwurf bleibt unbeantwortet, solange es den Menschen nicht besser geht.

In Deutschland wiederum macht sich eine nicht weniger gefährliche Stimmung breit. Da gibt es einerseits das ungute Gefühl, dass es immer wieder "die fleißigen Deutschen" sind, die "den faulen Südeuropäern" ihre Schuldenmacherei finanzieren. Überhaupt scheint das Sparen in Verruf geraten zu sein, denn wie soll man Kindern erklären, dass sie ihr Geld zur Bank bringen sollen, wenn sie dort so gut wie nichts mehr dafür bekommen? Die Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank birgt in den Augen vieler Deutscher eine so klare wie fatale Botschaft: Sparen lohnt sich nicht mehr.

Die für den Euro zuständigen Politiker kennen diese Sorgen, sie entkräften sie aber nicht. Viel zu lange haben sie die Widersprüche innerhalb der Euro-Zone verdrängt und damit das grundsätzliche Konstruktionsproblem ihrer Währung ignoriert. Vereinfacht gesagt, gibt es nördlich und südlich der Alpen eine unterschiedliche Auffassung davon, was gute Wirtschaftspolitik sein soll. Dieser Dissens zwischen Sparen und Verschuldung (man könnte auch sagen: Investition) muss aufgelöst werden, wenn die Währung Bestand haben soll. Dazu braucht es einen neuen Pakt für den Euro.

Der Zeitpunkt dafür wäre günstig: Der neue französische Präsident Emmanuel Macron ist bereit, am Kernproblem der Währungsunion zu arbeiten. Für Berlin bedeutet das: Auch die Bundesregierung muss jetzt auf die Sorgen und Nöte der Südeuropäer eingehen, wenn sie es nicht dauerhaft mit den Le Pens, Grillos und anderen Antieuropäern zu tun haben will. Deutschland muss, um es kurz zu machen, bereit sein, mehr zu geben.

Diese Einsicht ist nicht nur ein Gebot politischer Schwerkraft; sie ist auch ökonomisch sinnvoll. Kein Land der Währungsunion hat so stark vom Euro profitiert wie Deutschland. Es liegt also im Interesse der Bundesrepublik, die gesamte Euro-Zone zu stärken. Um eine bessere Balance für die ökonomischen Ungleichgewichte zu finden, braucht es geeignete Instrumente. Macron hat Ideen, die ernst zu nehmen sind. Etwa ein eigener Haushalt für die Euro-Zone. Dieses Budget müsste für gemeinsame Investitionen ausgegeben und aus Steuern finanziert werden. Zum Beispiel durch eine CO₂-Steuer, die einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung zugutekommt.

Es braucht eine stabile Währungsunion - allein aus Selbstschutz

Eine Währungsunion, die so stabil sein soll wie die USA oder die Schweiz, braucht eine gemeinsame politische Steuerung. In Europa nennt man das: Fiskalunion. Doch so weit ist die Gemeinschaft noch nicht. Zu groß ist die Gefahr, mit neuen EU-Verträgen in (dann fälligen) Volksabstimmungen zu scheitern. Machbar wären aber Projekte, die zwischen einzelnen Staaten verabredet werden. So würde ein Europäischer Währungsfonds die Union nicht nur stärken, sondern auch ein Stück weit unabhängiger machen. Europa muss bereit sein, ähnlich wie bei der Verteidigung, auch in der Finanz- und Wirtschaftspolitik mehr Verantwortung zu übernehmen. In einer Welt, in der man sich auf alte Bündnispartner nicht mehr wirklich verlassen kann, ist das unumgänglich. Schon allein aus Selbstschutz braucht es eine starke und stabile Währungsunion.

Aus deutscher Sicht ist es fast schon tragisch. Der Euro sollte die Bundesrepublik fester in die Gemeinschaft einbinden und ja, auch bändigen. Der Verzicht auf die D-Mark wurde demnach auch wie ein Geschenk an Europa verstanden. Doch mit dem Gemeinschaftsgeld wurde Deutschland unverhältnismäßig mächtig. Nun ist Zeit für neue Großzügigkeit.

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SZ vom 16.06.2017
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