Süddeutsche Zeitung

EuGH-Urteil zu Suchmaschinen:Gegen Googles globale Digitalmacht

Lesezeit: 3 min

Von wegen rechtsfreier Raum: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen Google hält fest, dass Persönlichkeits- und Datenschutzrecht auch im Internet gelten. Es stellt klar, was eigentlich selbstverständlich ist - und nimmt endlich auch Google und Co. in die Pflicht.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Es gibt derzeit viel Wahlkampf in Europa. Den besten Wahlkampf r Europa macht der Europäische Gerichtshof. Gewiss: Ein Gericht soll keinen Wahlkampf machen, es soll nach Recht und Gesetz urteilen. Aber die Urteile, die dieser Gerichtshof neuerdings fällt, sind die beste Werbung für Europa, die es derzeit gibt - für ein Europa der Bürger und der Bürgerrechte.

Das abgekaute Sprüchlein, dass die EU ein "Raum des Rechts, der Sicherheit und der Freiheit" sei, wird hier zum Spruch; zu einem Leitspruch, der Substanz hat: Vor einem Monat, in seinem Urteil gegen die Vorratsdatenspeicherung, hat das EU-Gericht die EU-Staaten, also Staatsmacht, in die Pflicht genommen, den Datenschutz zu achten. Nun, in seinem Urteil gegen Google, nimmt es die Internet-Macht, nimmt es Google und Co. in die Pflicht.

Google ist nicht der Pontius Pilatus des Internets

Das Google-Urteil stellt sich dem gängigen Gerede vom Internet als einem rechtsfreien Raum entgegen: Das Internet ist natürlich kein rechtsfreier Raum, es ist allerdings einer, in dem die Rechtsdurchsetzung besonders schwierig ist. Diese Schwierigkeit packt das Gericht an. Das Urteil stellt also fest, dass das Persönlichkeitsrecht und das Datenschutzrecht auch im Internet gelten und dort Stärkung brauchen.

Das Urteil stellt klar, was klargestellt werden musste. Erstens: Eine Suchmaschine betreibt Datenverarbeitung; also gelten für sie die Regeln für Datenverarbeitung. Zweitens: Für Suchmaschinen, die in Europa ihr Geschäft machen, gilt europäisches Recht, auch wenn die Server in den USA stehen. Drittens: Google ist nicht der Pontius Pilatus des Internets; Google kann also nicht einfach seine Hände in Unschuld waschen, wenn es auf Internet-Seiten mit falschen oder kompromittierenden Daten verweist. Viertens: Google ist verantwortlich für solche Links; es muss solche Links löschen. Fünftens: Wenn Google das nicht tut, müssen die Datenschutzbeauftragten und die Gerichte dem betroffenen Bürger helfen.

Über die Sanktionsmechanismen, wenn Google und Co. sich weigern, lässt sich der EU-Gerichtshof noch nicht aus. Aber: Die Sanktionen muss man nicht neu erfinden, die gibt es schon. Sie bestehen in hohen und höchsten Bußgeldern und Geldstrafen. Wie gut das funktioniert, haben deutsche und europäische Konzerne erfahren, wenn sie von US-Behörden und -Gerichten wegen Korruption belangt wurden.

Dass Recht nur dann Recht ist, wenn man es auch als einzelner Bürger durchsetzen kann, ist eigentlich in einem Rechtsstaat selbstverständlich. Aber das eigentlich Selbstverständliche war bisher im Internet nicht selbstverständlich. Die Richter, und auch das ist das Kluge an ihrem Urteil, überfordern aber das Recht nicht. Sie haben keine Allmachts-Phantasien; sie postulieren also kein "Recht auf Vergessen" oder "auf Vergessenwerden"; dieses gnädige Recht wäre ähnlich schwer zu realisieren wie ein "Recht auf Glück". Vergessenkönnen: Das ist eine Tugend; es ist problematisch, sie mit gerichtlichen Mitteln realisieren zu wollen.

Das Gericht in Luxemburg schwingt sich auch nicht zum Supertechniker auf, indem es einen "digitalen Radiergummi" zu erfinden vorgibt; eine totale Elimination von Daten kann ohnehin nicht gelingen, dafür ist das Netz viel zu komplex. Es gibt aber wirksame Löschungsansprüche, und genau diese gewährt das Gericht: Die verantwortliche Stelle (der Suchmaschinenbetreiber) wird verpflichtet, die Daten auf den von ihm betriebenen Servern zu löschen - also von allen Datenträgern, auf die er selbst unmittelbar Zugriff hat. Die Zeit, in der man den Eindruck haben konnte, das Recht kapituliere vor den Großen des Internets, geht damit zu Ende. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet das Google- Urteil.

Auf dem Weg zum Europäischen Verfassungsgericht

In der digitalen wie in der analogen Welt muss abgewogen werden: Das Recht des Betroffenen muss abgewogen werden mit dem Recht auf Informationsfreiheit. Dafür gibt es keine Generallösungen. In der analogen Welt ist diese Abwägung seit Langem Gegenstand von Gesetzgebung und der Rechtsprechung. In der digitalen Welt beginnt diese Abwägung jetzt erst - sie kann erst jetzt beginnen, weil die Kommunikations- und Informationsfreiheit dort bisher omnipotent war.

Das Gericht in Luxemburg ist dabei, sich zum Europäischen Verfassungsgericht zu entwickeln; es verteidigt die europäischen Grundrechte gegen Angriffe von innen und von außen: Gegen die Polizeimacht der EU-Staaten und gegen die Digitalmacht der Globalkonzerne setzt es die Macht des europäischen Rechts. Es geht dabei nicht um ein Auftrumpfen dieses Rechts, sondern um seine Wirksamkeit in einer digitalen Welt. Dagegen kann niemand etwas haben. Eine Welt ohne Recht ist friedlos.

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SZ vom 14.05.2014
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