Süddeutsche Zeitung

Deutsche Börse und LSE:Deutsch-britische Börse - ein Signal gegen den Brexit

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Kommentar von Meike Schreiber, Frankfurt

Carsten Kengeter, der Chef der Deutschen Börse, ist ein Mann mit klaren Botschaften: Wer sich der Illusion hingebe, der Finanzplatz Deutschland werde eine Art Kriegsgewinnler des drohenden Brexit, also des Austritts der Briten aus der EU, der begehe eine "geistige Fehlleistung", warnte er zuletzt in einer Rede. Die amerikanischen Banken würden ihren Sitz nicht automatisch nach Frankfurt verlegen, könnten auch Dublin oder Paris ansteuern oder ihre Banker gleich komplett nach New York zurückholen, sagte Kengeter. Ohnehin seien viele andere Finanzplätze - Shanghai etwa - weltweit längst sehr dominant.

Deutliche Worte. Das noch klarere Signal gegen einen Brexit aber hatte Kengeter zuvor gesendet. Am Dienstagnachmittag war bekannt geworden, dass die Deutsche Börse mit ihrem Rivalen in London, der London Stock Exchange (LSE), fusionieren will. Die beiden größten kontinentaleuropäischen Börsenbetreiber wollen gemeinsam aufschließen zu den Konkurrenten aus den USA und Asien. Und dieses Mal soll es keine feindliche Übernahme der LSE sein, wie es die Frankfurter in den vergangenen fünfzehn Jahren gleich zweimal vergeblich versucht hatten. Im Gegenteil: Kengeter und Xavier Rolet, der LSE-Chef, sind sich bereits weitgehend einig. Und auch die Financial Times, das Zentralorgan des Finanzplatzes London, stellt sich - anders als früher - bereits mehr als forsch ("do the Deal") hinter den Zusammenschluss.

Tatsächlich ist die angestrebte Fusion der beiden Börsenplätze von Frankfurt und London aus mehreren Gründen von großer Bedeutung: kurzfristig als wichtiges Signal eben gegen den Brexit. Denn wenn am Tag, nach dem Londons Bürgermeister Boris Johnson den Brexit-Freunden seine Wahlkampfzusicherung gibt, eines der wichtigsten Unternehmen in seiner Stadt für die Fusion mit einem kontinentaleuropäischen Unternehmen votiert, kann das den Befürwortern eines Ausstiegs nicht verborgen bleiben.

Gut möglich, dass die Deutschen am Ende sogar zu Freunden der Aktienanlage werden

Langfristig aber ist nicht minder bedeutend, dass die beiden Unternehmen und die dahinterstehenden Finanzplätze ein erstes konkretes Beispiel abgeben für die bislang noch nicht mit Leben gefüllte Kapitalmarktunion in Europa. Bei diesem ehrgeizigen Projekt geht es darum, mit einheitlichen Standards Unternehmen den Zugang zu Kapital über Aktien oder Anleihen zu erleichtern und sie damit unabhängiger zu machen vom Bankkredit. Die deutschen Unternehmen sind zuletzt zwar schon deutlich kapitalmarktaffiner geworden. Das Potenzial, das die Kapitalmärkte zur Finanzierung der Realwirtschaft und damit des Wachstums spielen könnten, ist in Deutschland aber noch längst nicht ausgereizt. Ein Zusammenschluss von Deutscher Börse und LSE würde den heimischen Kunden der Deutschen Börse nun wohl einen besseren Zugang zum deutlich liquideren Kapitalmarkt in der City ermöglichen.

Sicher: Es gibt nun Sorgen, der Finanzplatz Frankfurt käme zu kurz. Diese Sorgen sind durchaus berechtigt, denn London hat seit jeher Sogwirkung. Und sollten die Berichte zutreffen, wonach der Umzug nach London bereits geplant sei, würde das in Deutschland sicher nicht geräuschlos über die Bühne gehen. Sollte es zudem tatsächlich zu einem Brexit kommen, müsste die Politik zum Beispiel darauf achten, dass die Infrastruktur des Derivatehandels nicht plötzlich außerhalb der EU angesiedelt ist. Denn spätestens seit der Finanzkrise gilt der Derivatehandel, in dem die Deutsche Börse sehr stark ist, als äußerst systemgefährdend. Dass Kengeter den Vorstandsvorsitz des fusionierten Unternehmens übernimmt und den Aktienhandel in Frankfurt belassen will, ist daher zu begrüßen. Die deutsche Börsen- und Finanzaufsicht sollte die ihr möglichen Mittel aber nutzen, einen zu starken Machtzuwachs Londons zu verhindern.

Unter dem Strich überwiegen gleichwohl die Vorteile: Denn es ist auch der vielleicht letzte Versuch, die aktienskeptischen Deutschen durch den Zusammenschluss mit dem größten Kapitalmarkt Europas doch noch dafür zu begeistern und sich mit Aktien anzufreunden. Schließlich sind die Deutschen ein seltsames Volk: Seit Jahren jammern sie über die Niedrigzinsen, eine Folge der Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Andererseits aber ziehen sie keine Schlüsse daraus und investieren ihr Vermögen weiterhin in niedrig verzinste Papiere. Die Aktienmärkte mögen derzeit aufgepumpt sein durch die billige Liquidität der EZB. Zumindest aber steigen die Kurse seit Jahren. Für die meisten Deutschen bleiben die Börsen trotzdem eine Art Tabu, während die Angelsachsen seit Jahrzehnten unverkrampfter mit Aktien umgehen. Wenn davon nun nur ein wenig auf Deutschland abfärben würde, wäre das ein weiteres Argument für die Fusion - zudem eines, das weit über den Tag des Brexit-Referendums hinausweist.

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SZ vom 25.02.2016
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