Süddeutsche Zeitung

Autohersteller:Opel und Daimler in einer verkehrten Welt

Lesezeit: 3 min

Von Max Hägler, Leo Klimm, Paris, und Stefan Mayr, Stuttgart

Es wirkt wie ein Witz der Automobilgeschichte. Ausgerechnet Opel, der kleine Hersteller von wenig prestigeträchtigen Mittelklassewagen, der über zwei Jahrzehnte rote Zahlen schrieb und Milliarden verlor, sticht Daimler aus, den Inbegriff deutscher Premiumautos.

Doch nun ist das passiert - und es ist ein Spiegelbild für erfolgreiches Management bei Opel und dem Mutterkonzern Peugeot (PSA). Und für die Schwierigkeiten eines Autobauers, der ganz vorne mitspielen will, in einer Mobilitätswelt, die sich so rasant und fundamental ändert wie noch nie. Ein Jahr nach der spektakulären Rückkehr in die Gewinnzone hat PSA vermeldet: Der Betriebsgewinn der deutschen Marke sei im ersten Halbjahr 2019 auf etwa 700 Millionen Euro gestiegen. Und Carlos Tavares, Chef des Mutterkonzerns Peugeot (PSA) verbirgt nicht, dass er doch recht "stolz" ist: Der Massenhersteller mit Marken wie Citroën, Peugeot oder Opel kommt mit der Krise im Automarkt besser zurecht als Daimler.

Auch dort wurden am Mittwoch Zahlen vorgelegt. Doch beinahe nur unerfreuliche. Die Hauptsparte Pkw macht bei einem Absatzrückgang um drei Prozent gut 670 Millionen Euro Verlust. Milliardenrisiken im Dieselskandal, Probleme mit Airbags, Lieferschwierigkeiten wegen Problemen in amerikanischen Fabriken und die schwache Autokonjunktur brockten dem Konzern einen Nettoverlust von 1,2 Milliarden Euro ein. "Die Zahlen sind alles andere als zufriedenstellend", gesteht Ola Källenius ein, der neue Daimler-Chef.

Bei BMW dürfte es nicht viel besser aussehen

In Zahlen ausgedrückt: Bei Daimler liegt die Umsatzrendite im Autosektor im zweiten Quartal bei minus drei Prozent, bei den nicht mitgerechneten Vans wurden noch größere Verluste gemacht. Im Gesamtjahr erwarten sie in Stuttgart immerhin ein Plus: Drei bis fünf Euro pro 100 Euro Umsatz sollen letztlich als operativer Gewinn hängen bleiben. Bei BMW dürfte es am Jahresende übrigens auch nicht recht viel besser aussehen.

In Paris bei PSA und in Rüsselheim bei der Opel-Dependance ist die Marge hingegen in dem Bereich, in dem bislang immer die deutschen Premiumautobauer waren: Zwar sank der Konzernumsatz im ersten Halbjahr um 0,7 Prozent auf 38 Milliarden Euro, aber der operative Gewinn legte zu auf drei Milliarden Euro. Das bedeutet eine Rendite von 8,7 Prozent. Und für Opel gelte: Das Renditeziel von sechs Prozent im Gesamtjahr, das erst für 2026 erwartet wurde, dürfte schon 2019 geschafft werden, schreibt Opel-Lenker Michael Lohscheller an die Mitarbeiter. Analyst Arndt Ellinghorst von der Beratungsgesellschaft Evercore ISI, fragt sich deshalb: "Wann ist deutsches Premium wieder etwas wert?"

Was ist passiert, dass sich diese Verhältnisse so umkehren? Die Lage auf den Automärkten ist insgesamt eher schwierig, die Analyse gleicht sich, egal ob man in Stuttgart oder Paris fragt: Der größte Einzelmarkt China schwächelt - hier hat PSA massive Rückgänge eingefahren. Die geopolitischen Spannungen führen in manchen Ländern zu Schwierigkeiten, so ist etwa das wichtige Iran-Geschäft von PSA wegen der US-Sanktionen auf Eis. Daimler wiederum tut sich schwer mit Exporten großer Wagen, weil China und die USA im Clinche liegen. Dann gäbe es noch "die Unwägbarkeiten des Brexit", sagt PSA-Chef Tavares, "und das Regulierungschaos". Das spielt auf die scharfen EU-Vorgaben zum CO₂-Ausstoß an, über die Tavares so wenig begeistert ist wie Källenius. Bei beiden Konzernen gingen in Folge die Verkäufe von Autos zurück. Bei PSA sogar deutlicher (minus 13 Prozent) als bei Daimler (minus drei Prozent).

Die PSA-Autobauer profitieren von Skaleneffekten, weil sie zusammenarbeiten

Und doch arbeiten die beiden anders - und in einem anderen Marktumfeld. "Opel spielt natürlich als Massenhersteller in einer anderen Liga als Daimler und steht nicht unter dem Druck, technologisch die Spitzenposition einzunehmen", sagt Analyst Frank Biller von der Landesbank Baden-Württemberg. Bei den Premiumherstellern drückten die Investitionen der technologischen Transformation auf das Ergebnis: Die Kunden erwarten von Daimler wie auch von BMW und Audi, dass sie ganz vorne sind bei Roboterfunktionen, Elektroantrieben oder Hightech-Spielereien im Cockpit. Das kostet Milliarden; PSA hingegen muss nur in E-Antriebe investieren, beim Rest reicht abwarten. Das spart Geld. Dem französischen Hersteller gelingt es zudem, höhere Preise für seine Modelle durchzusetzen, der wichtigste Faktor allerdings lautet: Sparen. Darin macht dem auf Effizienz versessenen Tavares keiner etwas vor in der Autobranche. Genau wie zuvor beim PSA-Konzern, der vor wenigen Jahren der Pleite knapp entging, ließ Tavares von der Logistik über die Forschungsabteilung bis zu den Werken alles in jedem Detail optimieren und allein in Deutschland 3700 Stellen abbauen. Zudem kann Opel plötzlich auch Skaleneffekte nutzen, indem mehr Wagen auf Peugeot-Plattformen gebaut werden. So teilt sich etwa der Opel Crossland X viele Teile mit dem Peugeot 2008.

Das mit den Skaleneffekten klappt bei Daimler nur, wenn man sich mit der Konkurrenz zusammentut; auf die Schnelle ist das nicht machbar. Das mit dem Sparen schon eher. Wie genau das aussehen soll, ob Stellen gestrichen werden, oder öfter gilt: Economy statt Business-Klasse, das möchte Källenius allerdings erst im November kundtun. "Ich will nichts Halbgares erzählen", betont er am Mittwoch - und hinterlässt damit teils genau diesen Eindruck: "Heute kann ich nur sagen: Wir haben in allen Bereichen Effizienzprogramme gestartet und nochmals intensiviert." Zudem werde das "Produktportfolio weiter überprüft". Die Eigentümer warteten dringend auf solche Zeichen, kommentiert Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler: "Die guten Investoren haben die Nase voll von der unendlichen Zeit der häufig ziemlich leeren Versprechungen bei Daimler bei gleichzeitiger Überheblichkeit." Den Vorwurf müssen sich PSA und Opel nicht gefallen lassen. Auch ein Unterschied.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2019
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