Süddeutsche Zeitung

Brückeneinsturz in Genua:Italiens Straßen - marode und profitabel

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Von Thomas Steinfeld, Venedig

Die zuständigen Minister wussten schnell, wer für den Einsturz der Brücke von Genua verantwortlich zu machen war: Die Europäische Union habe Italien zu einer Sparsamkeit gezwungen, die letztlich Menschenleben fordere, meinte Matteo Salvini, der Innenminister und Vorsitzende der fremdenfeindlichen Lega-Partei. Und Danilo Toninelli, der Minister für Infrastruktur und Verkehrswesen, der für den "Movimento Cinque Stelle" in der Regierung sitzt, gab bekannt, die Verantwortlichen der Betreibergesellschaft "Autostrade per l'Italia" zur Rechenschaft ziehen zu wollen: "Sie erheben die höchsten Gebühren in Europa, während sie für die Konzessionen beschämend wenig zahlen. Sie verdienen Milliarden, zahlen nur ein paar Millionen Steuern und unterlassen den notwendigen Unterhalt für unsere Brücken und Straßen."

Verbunden mit dieser Beschimpfung war die Drohung, die Konzessionen zu kündigen und den Betrieb der Autobahnen zu verstaatlichen. So populär derartige Äußerungen innerhalb Italiens wie im Ausland sein mögen, so ungewiss ist dagegen, ob sich mit Schuldzuweisungen an der an vielen Stellen problematischen Situation der italienischen Infrastruktur etwas ändern lässt.

Der Einsturz der "Morandi"-Brücke von Genua wird als nationale Katastrophe wahrgenommen, und das aus vielen Gründen: Zuerst, weil dabei so viele Menschen ums Leben kamen oder verletzt wurden. Aber auch, weil mit diesem Unglück das Vertrauen gebrochen scheint, das Bürger in ihren Staat und dessen Infrastruktur setzen. Brücken sind in Italien schon mehrere zusammengebrochen, zuletzt etwa bei Agrigent. Doch die Brücke von Genua ist von besonderer Art: Als sie in den Sechzigern entstand, als zentrales Stück einer neuen, überaus kühn angelegten Autobahn (A10), die an der vielfach zerklüfteten ligurischen Küste entlang führt, galt sie als Meisterwerk der Ingenieurskunst und war ein Prunkstück der Modernisierung Italiens - weswegen eine eher konventionelle und womöglich stabilere Konstruktion nicht in Frage gekommen wäre. Genua ist eine Stadt, die sich ebenfalls über steile Täler erstreckt, die quer zur Uferlinie verlaufen. Erst durch diese Brücke erschien sie zu einem Gemeinwesen verbunden zu werden.

Selbstverständlich sind solche Verweise Reminiszenzen an die Hoffnungen von gestern und vorgestern, die mit der Realität nur bedingt etwas zu tun haben: Für vierzigtausend Fahrzeuge am Tag war diese Brücke ebenso wenig ausgelegt wie für das Gewicht heutiger Lastwagen, die auch deshalb so schwer sind, weil dadurch Mautgebühren gespart werden können. Und doch spielen alle diese Dinge eine Rolle für die Wahrnehmung dieser Katastrophe.

Die Infrastruktur Italiens ist tatsächlich eine zunehmend prekäre Angelegenheit: Der überwiegende Teil der italienischen Fernverbindungen entstand zwischen den Fünfziger- und Siebzigerjahren, wurde also von den Eltern und Großeltern der Menschen bezahlt, die sie heute benutzen. Die Autobahnen werden heute privat und mit Gewinn betrieben. Nur an zwei Punkten verzeichnet der jüngste Jahresbericht des Ministeriums für Infrastruktur Rückgänge: bei den Investitionen (minus zwanzig Prozent) und bei den Unterhaltskosten (minus sieben Prozent).

Mängel und Risiken waren bekannt

Keine der jüngsten fünf Regierungen Italiens unternahm auch nur einen Versuch, die Betreibergesellschaften - es gibt insgesamt 24 solcher Firmen, die knapp 6000 Kilometer Autobahn betreuen - zu einem besseren Unterhalt ihrer Anlagen zu zwingen. Dabei waren Mängel und Risiken, wie auch im Fall der Brücke von Genua, wohlbekannt. Es ist kein Geheimnis, das Bauten aus Spannbeton von begrenzter Lebensdauer sind und, je älter sie werden, um so aufwendiger unterhalten werden müssen. Und schlimmer noch: Während die Autobahnbrücken noch regelmäßig kontrolliert werden, mit welchen Ergebnissen auch immer, unterliegen Zehntausende Viadukte und Brücken, über die Landstraßen verlaufen, einer Aufsicht, die ihrerseits beaufsichtigt werden müsste, was allenfalls rudimentär geschieht.

Die meisten der Betreibergesellschaften werden in kommunaler oder regionaler Regie geführt. Zwei indessen sind große Unternehmen: Hinter der "Autostrade per l'Italia" steht der Konzern Atlantia, hinter dem sich wiederum die Benetton-Gruppe verbirgt, die schon seit vielen Jahren mehr Geld mit Immobilien als mit Pullovern verdient. Daneben gibt es den Gavia-Konzern, der hauptsächlich in Verkehrs- und Infrastrukturprojekten engagiert ist.

Forderungen, diese Firmen zu zwingen, auf einen Teil ihres Gewinns zugunsten von Investitionen in die Infrastruktur zu verzichten, gibt es schon lange. Uns sie werden jetzt drängender werden. Das gilt umso mehr, da der "Movimento Cinque Stelle", also die Partei des Ministers für Infrastruktur und Verkehrswesen, bislang mit populären Vorbehalten gegen die großen Bauprojekte ("grandi progetti") der "Zementfraktion" Politik gemacht hat. Dass sie das vor einigen Jahren auch in Genua tat, ausgerechnet, als es um eine Erneuerung der nun eingestürzten Brücke ging, wird ihr jetzt zum Problem. Um so mehr wird die Partei darauf achten, dass nun das Gewinnstreben privater Firmen im Mittelpunkt der Schuldzuweisungen steht.

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