Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Beeren-Hunger wegen Brexit

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Von Björn Finke, London

Eine Schüssel Erdbeeren, gepflückt in Großbritannien, dazu Schlagsahne: Dieser Snack gehört zu Wimbledon wie das wechselhafte Wetter und das mahnende "Quiet, please" der Umpires, der Schiedsrichter. Zahlreiche Besucher des Tennisturniers, das in anderthalb Wochen wieder startet, stärken sich mit den süßen Früchten. 34 Tonnen davon werden während des Wettbewerbs auf der Anlage im Süden Londons vertilgt. Doch in Zukunft könnten viele Beeren aus dem Ausland kommen, und sie könnten teurer sein. Denn der Verband der Beerenbauern, British Summer Fruits, warnt, dass sich die Höfe schwer tun, Erntehelfer zu finden.

Die Landwirte Ihrer Majestät sind auf Saisonarbeiter aus Rumänien und Bulgarien angewiesen. Weil aber das Pfund nach dem Brexit-Referendum kräftig an Wert verloren hat, pflücken viele dieser Helfer nun lieber auf Feldern in Euro-Ländern. Oder sie bleiben in der Heimat, wo die Wirtschaft in den vergangenen Jahren solide gewachsen ist und die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Beerenbauern-Lobby fürchtet, dass sich das Problem weiter verschärft, zumal es nach dem Brexit - und der Übergangsphase bis Ende 2020 - für Europäer schwieriger werden könnte, als Arbeiter auf die Insel zu kommen.

Ein Drittel der Verbandsmitglieder hat wegen dieser Ungewissheit schon Investitionen gestrichen, vier Fünftel erwarten, dass sie in Zukunft weniger Beeren ernten können, ergab eine Umfrage. "Jeder Rückgang bei der heimischen Produktion erhöht nicht nur unsere Abhängigkeit von Importen, sondern wird auch unvermeidlich zu bedeutenden Preissteigerungen führen", sagt Beerenbauern-Führer Nicholas Marston. Er schätzt, dass bereits 10 bis 15 Prozent der Stellen für Erntehelfer unbesetzt bleiben.

Die Landwirte fordern, dass die Regierung wieder ein Visa-Programm für Erntehelfer aus aller Welt auflegt. Das gab es früher schon und wurde etwa von Arbeitern aus Russland genutzt. Doch London schaffte diese Visa 2013 ab, weil ja Helfer aus Osteuropa kommen können - als EU-Bürger ohne Visum. Aber jetzt wollen viele Osteuropäer nicht mehr auf der Insel pflücken. Und nach dem Brexit dürfen sie es vielleicht nicht mehr ohne Weiteres.

Selbst Brexit-Befürworten wollen neue Erntehelfer-Visa

Insgesamt brauchen die Gemüse-, Salat- und Obstbauern im Königreich 50 000 bis 60 000 Saisonarbeiter. Im vergangenen Jahr kamen zwei Drittel der Helfer aus Rumänien und Bulgarien und ein Drittel aus den anderen osteuropäischen EU-Staaten, wie der Bauernverband National Farmers' Union ermittelt hat. Briten lassen sich nicht für die schlecht bezahlten und befristeten Knochenjobs begeistern, zumal die Arbeitslosenquote so niedrig ist wie zuletzt in den Siebzigerjahren.

Landwirtschaftsminister Michael Gove, ein Brexit-Vorkämpfer, unterstützt die Wiedereinführung der Erntehelfer-Visa. Allerdings zeigt sich die konservative Premierministerin Theresa May bislang unbeeindruckt von der Beeren-Krise. Die frühere Innenministerin verspricht, nach dem EU-Austritt die Zahl der Einwanderer deutlich zu senken. Sie argumentiert, dass im Referendum viele Bürger für den Brexit gestimmt hätten, weil ihnen zu viele Ausländer auf ihrer lieblichen grünen Insel leben. Neue Einreise-Möglichkeiten für Erntehelfer passen nicht so recht zu diesem Programm.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2018
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