Süddeutsche Zeitung

Boeing 737 Max:Tödliche Unkenntnis bei den Behörden

Lesezeit: 2 min

Von Hans von der Hagen

Der Absturz zweier Boeing 737 in den vergangenen neun Monaten belegt eindrücklich, was passiert, wenn die Aufsichtsbehörden nicht mehr verstehen, was sie genehmigen. Das gilt nicht nur für die Luftfahrt, doch im Fall der Boeing-Unglücke waren die Konsequenzen mit 346 Toten besonders fatal.

Die New York Times zeichnet nun detailliert das Zusammenspiel von Boeing und den Behörden nach: Schon kurz nach dem Absturz der Boeing 737 Max im Herbst 2018 seien die Ingenieure der Federal Aviation Administration (FAA) zu der "beunruhigenden Einsicht" gelangt, dass sie das MCAS-System, das eigentlich dazu dienen sollte, konstruktionsbedingte Nachteile des runderneuerten 737-Modells auszugleichen, nur teilweise verstanden hätten.

Auch der Blick in die eigenen Unterlagen half da nichts: In jenem Teil, in dem von der Sicherheit des Systems die Rede war, wurde der NYT zufolge nicht einmal erwähnt, dass das MCAS die Nase des Flugzeugs aggressiv und wiederholt nach unten drücken konnte. Dieser Automatismus führte wohl jeweils - im Zusammenspiel mit einem defekten Sensor - am Ende zum Absturz der Maschinen.

Boeing kontrolliert sich im Grunde selbst

"Nie hat die Aufsichtsbehörde die Risiken der gefährlichen Software ... unabhängig beurteilt, als sie dem Flugzeug 2017 die Zulassung erteilte", schreibt das Blatt. Der Grund: Seit Jahren delegierte die FAA Aufgaben an Boeing - das Unternehmen kontrollierte sich vor allem bei der Zulassung der 737 Max im Grunde selbst. Besonders verhängnisvoll war das im Umgang mit dem MCAS-System.

Überwachten anfangs noch zwei "relativ unerfahrene" Ingenieure der FAA die Arbeiten am MCAS , wurden die beiden Mitarbeiter später wohl nicht mehr groß eingebunden. Das wog umso schwerer, als sich Boeing dann entschloss, die Nutzung des MCAS in der 737 Max deutlich auszuweiten. Die neuere, riskantere Variante stützte sich nur auf die Daten eines Sensors und konnte es mit ihrem aggressiven Eingreifen Piloten besonders schwer machen, die Kontrolle über das Flugzeug zu behalten. Doch diese Änderungen mussten nicht mehr gesondert genehmigt werden.

Die NYT resümiert: Die FAA ging überaus rücksichtsvoll mit Boeing um. Pochten Mitarbeiter der Behörde auf Änderungen, wurden sie mitunter von Vorgesetzten zurückgepfiffen. Zudem verzichtete die FAA nach dem ersten 737-Max-Absturz auf ein Flugverbot, obschon die Behörde nur eine vage Vorstellung hatte, wie das MCAS funktionierte. Stattdessen veröffentlichte sie eine Mitteilung, in der Piloten an bekannte Notfallprozeduren erinnert wurden. Der einzige Hinweis auf das MCAS-System soll in letzter Minute gestrichen worden sein. Vier Monate später stürzte die zweite Boeing 737 Max ab.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4544733
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.