Süddeutsche Zeitung

Bei uns in Bern:Kartoffelhunger

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In der Schweiz werden die Kartoffeln knapp. Das muss an einem Brauch liegen, der zur eidgenössischen DNA gehört.

Von Isabel Pfaff, Bern

Eigentlich sah man sich als Expertin auf diesem Gebiet. Kartoffeln in all ihren möglichen Zubereitungs- und Erscheinungsformen: Da macht man der Korrespondentin aus Deutschland nichts vor. Aber offenbar geht die Erdäpfel-Leidenschaft der Eidgenossen noch ein ganzes Stück weiter. "Bund erhöht Kartoffelimport im Juli um 5000 Tonnen", meldete die Schweizer Nachrichtenagentur SDA am Donnerstag. Die Lagerbestände seien so stark zurückgegangen, dass man jetzt aufs Ausland angewiesen sei. Was ist da los?

Wie aus einer Meldung des Bundesamts für Landwirtschaft hervorgeht, hat das ungünstige Wetter im April und Mai die Knappheit mitverursacht. Zudem gab es einen hohen Verbrauch während der Pandemie. Offenkundig kochen viele Schweizer gerne Kartoffeln, wenn sie nicht ins Restaurant gehen können. Doch das ist nicht alles, wie die Korrespondentin aus eigener, fast täglicher Anschauung weiß. Kartoffeln spielen nämlich eine Schlüsselrolle bei jenem Brauch, der genauso zur Schweizer DNA gehört wie würziger Bergkäse oder niedrige Steuern: dem Apéro.

Bei dem lockeren Umtrunk, der in der Regel eine Veranstaltung abrundet, aber auch einfach den Feierabend einläuten kann, werden neben Nüssen und Salzgebäck vor allem Kartoffelchips zum Getränk gereicht. Wenn man nun coronabedingt nicht mehr auf Podiumsdiskussionen oder in Bars gehen kann, veranstaltet man den Apéro eben privat. Und die einzig wirklich unverzichtbare Zutat dieses Events sind ja nun mal: Chips. Die haben Schweizer Haushalte eigentlich immer vorrätig. Tatsächlich berichtet Zweifel, der mit Abstand beliebteste Schweizer Chips-Hersteller, von einer explodierenden Nachfrage während der Corona-Krise. Bald habe es im Land an Kartoffeln gefehlt, schon 2020 musste man mehr importieren - obwohl Zweifel damit wirbt, dass die verarbeiteten Kartoffeln zu 95 Prozent aus der Schweiz stammen.

Doch es hilft ja nichts: Apéro muss sein, gerade in diesen Zeiten. Und so wächst der Kartoffelhunger der Schweizer weiter. Ende April lag der Absatz der Knollen 30 Prozent über dem Wert des Vorjahresmonats. Ein Glück, dass das Bundesamt für Landwirtschaft nun reagiert hat. Hoffentlich reichen 5000 Tonnen.

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