Süddeutsche Zeitung

Argentinien:Ende einer Ära

Lesezeit: 3 min

Carlos Menem verordnete Argentinien eine neoliberale Radikalkur. Das brachte ihm Bewunderung ein, aber auch Kritik. Nun ist der ehemalige Präsident im Alter von 90 Jahren gestorben.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Mitte der 90er-Jahre kam es öfter vor, dass irgendwo auf den Flughäfen dieser Welt die Tango 01 landete, die argentinische Präsidentenmaschine. 1992 war die Boeing 757 im Auftrag des damaligen Regierungschefs Carlos Saúl Menem gekauft worden, für stolze 66 Millionen Dollar, inklusive Büro und Besprechungsraum, aber auch mit Massagesitzen und Friseurstuhl, schließlich sollten Menems Backenbart und seine Haare immer sitzen, wenn er die Treppen hinabstieg zu irgendeinem Rollfeld. Dort schüttelte er dann Hände von Staatsoberhäuptern, oft fragte er danach aber auch die anwesenden Journalisten, ob zufällig jemand wüsste, wie River Plate gespielt habe, Menems Lieblingsfußballklub aus Buenos Aires.

All das ist lange her. Längst fliegt die Tango 01 nicht mehr, und nun ist am Sonntag auch noch Carlos Menem gestorben, im Alter von 90 Jahren. König von Argentinien wurde der Politiker einst genannt, ein solariumgebräunter Populist in extravaganten Anzügen, der sich selbst und die Macht stets mehr liebte als das Volk.

Mit seinem Tod endet eine Ära in Argentinien, und je nachdem, wen man fragt, war sie eine der glücklichsten des Landes - oder nicht mehr und nicht weniger als der Anfang eines bitteren Absturzes ins bodenlose Nichts.

Als Carlos Menem 1989 sein Amt antrat, steckte Argentinien ebenfalls schon in einer tiefen Krise. Der Staatsapparat war aufgebläht, Gewerkschaften blockierten Reformen, die Regierung versuchte, die Wirtschaft zu kontrollieren, mit festgeschriebenen Preisen und Exportkontrollen. Wer konnte, schaffte sein Geld außer Landes oder wanderte gleich aus. Die, die blieben, stellten sich Anfang des Monats mit ihrem Gehalt in die erste Schlange, die sie auf der Straße sahen. Die Währung verlor so schnell an Wert, dass es besser war, das Geld auszugeben, egal wofür.

Unter Anleitung des IWF unterzog Menem sein Land einer neoliberalen Radikalkur. Staatliche Unternehmen wurden privatisiert, Handelsschranken abgeschafft und Preiskontrollen aufgehoben. Vor allem aber eine Maßnahme machte Menem und seine Regierung bis heute legendär: Die sogenannte convertibilidad, meist auch uno a uno genannt, eins zu eins, weil der Wechselkurs der argentinischen Landeswährung in diesem Verhältnis künstlich an den Dollar gebunden wurde.

Die Inflation sank auf ein historisches Tief - für viele ein Wunder

Für viele Argentinier glich dies einem Wunder. Lag die Inflation zuvor zeitweise im vierstelligen Bereich, sank sie nun auf ein historisches Tief. Ausländisches Kapital strömte ins Land, die Wirtschaft boomte, und die Menschen konnten sich auf einmal Reisen ins Ausland leisten, nach Europa oder in die USA. Disneyland und Miami wurden überschwemmt von Touristen vom Rio de la Plata, und auf dem Heimflug brachten die Argentinier dann meist noch kofferweise Jeans, Spielzeuge und Elektrogeräte mit, waren sie doch in Miami oft billiger als in Buenos Aires, dem starken Peso sei Dank.

Doch der schöne Schein hatte auch seine Schattenseiten. In Argentinien brach die heimische Industrie unter dem Druck der billigen Konkurrenz aus dem Ausland zusammen. Dazu kamen Massenentlassungen der privatisierten Staatsbetriebe. Vor den Jobbörsen bildeten sich lange Schlangen, genauso wie auch vor den Suppenküchen. So schnell der Aufstieg gekommen war, so schnell ging es auch wieder bergab.

Ein Schuldenberg als Erbe

1999 übergab Menem sein Amt an Fernando de la Rúa, widerwillig und auch erst nach einem Gerichtsurteil, das ihm eine dritte Kandidatur verboten hatte. Als Erbe hinterließ er einen gigantischen Schuldenberg, der zwei Jahre später letztendlich in einem gigantischen Crash endete, Hunderttausende verloren ihre Jobs und ihre Ersparnisse.

Menem selbst hat seine Schuld an dem ganzen Schlammassel nie eingestanden. 2003 startete er noch mal einen Anlauf für eine weitere Präsidentschaft, zog aber zurück, als klar war, dass er kaum Erfolg haben würde. Bis zu seinem Tod aber blieb er Abgeordneter, was ihm vor Gericht Immunität verlieh in all den vielen Prozessen wegen Korruption, Vetternwirtschaft und Waffenhandel, die bis zu seinem Tod gegen ihn angestrengt wurden.

Dass Menems Gesundheitszustand schlecht war, war seit Langem bekannt, sein Tod am Sonntag kam nicht überraschend. Drei Tage Staatstrauer ordnete Argentiniens Präsident Alberto Fernández an. Er selbst war einst Mitarbeiter in Menems Regierung, heute muss Fernández mal wieder mit schweren Wirtschaftsproblemen kämpfen, die Inflation ist eine der höchsten der Welt, die Hälfte der Menschen lebt unter der Armutsgrenze, und mit Sehnsucht denken viele nun zurück an jenen Präsidenten, der ihnen damals, in den 90ern, ein paar glückliche Jahre beschert hat. Der König ist tot, lang lebe der König.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5207174
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.