Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt:Trotz Krisenstimmung 50 000 Arbeitslose weniger

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Obwohl die Inflation und der Krieg in der Ukraine die Wirtschaft belasten, fanden im Mai erneut mehr Deutsche einen Job. Was macht den Arbeitsmarkt so stabil?

Von Alexander Hagelüken

Die Preise steigen wie seit 50 Jahren nicht, der Krieg in der Ukraine verunsichert, die Lieferketten stocken: Es gibt derzeit viele Gründe, sich Sorgen um die Wirtschaft zu machen. Doch am Arbeitsmarkt schlägt sich das alles bisher kaum nieder. Im Mai sank die Zahl der Arbeitslosen um 50 000 auf unter 2,3 Millionen. Sie liegt damit niedriger als vor Ausbruch der Corona-Pandemie.

"Die Beschäftigung nimmt weiter zu. Die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften bewegt sich weiterhin auf einem sehr hohen Niveau", sagt der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele. "Der russische Krieg gegen die Ukraine und Lieferengpässe belasten die Aussichten. Auf der anderen Seite profitieren Handel und Dienstleistungen vom Ende der coronabedingten Einschränkungen."

Nachdem Geschäfte, Restaurants und andere Servicebranchen in der Corona-Krise weniger Umsatz machten, stellen sie jetzt wieder Personal ein. Das ist gar nicht so leicht, weil sich viele Beschäftigte in der Krise in anderen Bereichen Arbeit gesucht haben. Der Suchprozess dürfte deshalb noch einige Monate dauern. Und die neue Nachfrage schlägt sich in mehr Arbeitsplätzen nieder.

Seit Russland Ende Februar die Ukraine überfiel, ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland trotzdem jeden Monat gesunken. Der starke Rückgang der Arbeitslosigkeit im Mai hängt zwar auch damit zusammen, dass jedes Jahr mehr Jobs entstehen, sobald das Wetter besser wird. Im Winter ruht etwa auf vielen Baustellen die Arbeit. Doch selbst wenn man diese Saisonfaktoren herausrechnet, gab es im Mai 4000 Arbeitslose weniger als im April. Auch die Zahl der Kurzarbeiter nahm erneut ab.

Wie sich der Arbeitsmarkt weiterentwickelt, hängt von der Konjunktur ab. Und da sieht es trotz der Krisenstimmung vieler Bürger gar nicht so schlecht aus. Die führenden Wirtschaftsinstitute erwarten für dieses Jahr ein Wachstum von rund zwei Prozent. Wenn die deutsche Wirtschaft wie schon vergangenes Jahr weiter wächst, dürfte das viele Unternehmen bewegen, nach neuem Personal zu suchen. Dabei gibt es bereits jetzt Belege für eine Fachkräfteknappheit.

In einer jüngsten Umfrage von KfW-Bank und Ifo-Institut gab fast jede zweite Firma an, Personalmangel beeinträchtige ihr Geschäft. Besonders auffällig waren die Klagen über zu wenig Bewerber aus der Industrie, die doch zugleich durch Liefermängel gebremst wird. Von Januar bis März meldeten die Unternehmen insgesamt 1,7 Millionen offene Stellen - ein historischer Rekord.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will mehr Fachkräfte ins Land holen

Wirken sich die Krisenrisiken gar nicht am Arbeitsmarkt aus? Doch. Die aktuellen Negativfaktoren wie Inflation, Krieg und Lieferprobleme machen sich schon in gewissem Ausmaß bemerkbar. Der Frühindikator des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sank im Mai, zum ersten Mal in diesem Jahr.

Ein Dämpfer. Wissenschaftler bleiben aber trotzdem optimistisch. "Trotz des Ukraine-Kriegs sind die Arbeitsmarktaussichten in Deutschland weiterhin gut", sagt IAB-Prognoseleiter Enzo Weber. Denn bisher ist der Personalmangel der entscheidende Faktor. Die deutsche Bevölkerung altert und schrumpft. In nächster Zeit wird es pro Jahr hunderttausende Bürger weniger im typischen Berufsalter geben. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will deshalb die Gesetze verändern, damit mehr Fachkräfte einwandern. "Wir werden Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben und arbeiten wollen, dies ermöglichen", kündigte Heil an.

Mittel- bis langfristig sieht es am Arbeitsmarkt also gut aus. Doch was geschieht in den nächsten Monaten? "Wegen einer möglichen geopolitischen Ausweitung des russischen Kriegs gegen die Ukraine oder eines weitgehenden Energie-Lieferstopps bestehen weiter große Risiken", sagt Forscher Enzo Weber.

Sollte der Krieg noch lange andauern, rechnet die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) mit negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Besonders belastend sei, dass der Krieg bereits jetzt die Preise für Energie und andere Rohstoffe massiv nach oben treibe. "Zudem haben sich die Lieferengpässe weiter verschärft, weil wichtige Lieferketten gestört sind", sagt VBW-Geschäftsführer Bertram Brossardt. "Auch die Null-Covid-Politik Chinas mit strengen Lockdowns belastet die Produktion erheblich."

Noch allerdings widersteht der deutsche Arbeitsmarkt diesen Problemen. Bisher sieht es nur so aus, als würde der Aufschwung gebremst. Aber nicht gestoppt oder gar ins Gegenteil verkehrt, also in Richtung höherer Arbeitslosigkeit. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass es Ende des Jahres 350 000 Jobsuchende weniger geben wird als Anfang 2022.

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