Süddeutsche Zeitung

Arbeitslose: Regierung besorgt:Die Vier-Millionen-Marke wackelt

Lesezeit: 2 min

Die Bedenken überwiegen: Bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts gibt sich die Regierung pessimistisch und rechnet mit einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Bloß keine allzu großen Hoffnungen wecken: Die Bundesregierung erhöht ihre Prognose für dieses Jahr zwar auf 1,4 Prozent, doch bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts bezeichnete Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) diese Vorhersage selbst als "vorsichtig".

Die Bundesregierung hat mit ihrer neuen Einschätzung zwar ihre Voraussage vom Herbst um 0,2 Prozentpunkte korrigiert, liegt aber am unteren Ende der Vorhersagen von Wirtschaft und Instituten, die von 1,5 bis 2,0 Prozent reichen.

Die Korrektur nach oben trage dem "zuletzt klar erkennbaren wirtschaftlichen Aufwind" Rechnung, sagte der FDP-Politiker. Er warnte allerdings, die wirtschaftliche Lage sei von zahlreichen Unwägbarkeiten geprägt und Vorhersagen deshalb schwierig.

Scharfe Kritik an Abwrackprämie

Das Wachstum werde im wesentlichen aus den Exporten resultieren, sagte der Minister. Die Binnennachfrage werde dagegen um ein halbes Prozent sinken. In diesem Zusammenhang kritisierte Brüderle die Abwrackprämie scharf, die die Vorgängerregierung im vergangenen Jahr zur Stabilisierung der Nachfrage bei der Autoindustrie gewährt hatte. "Es wird keinen geben, der das Auto zweimal kauft, weil es so schön war." Die Prämie zeige, "dass jeder Eingriff des Staates zu neuer Unruhe führt".

Zugleich sagte er allerdings einen Anstieg des Nettoeinkommens um 1,3 Prozent in der zweiten Hälfte dieses Jahres voraus, der unter anderem den übrigen Konjunkturpaketen und dem zu Jahresbeginn verabschiedeten Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu danken sei.

Dieser Anstieg sei zum ersten Mal seit fünf Jahren höher als die Inflationsrate, die er auf ein bis 1,1 Prozent schätzte. Andererseits sagte er voraus, dass in diesem Jahr die Ölrechnungen aufgrund der Entwicklung auf den Rohstoffmärkten deutlich höher als 2009 sein würden.

Arbeitslosigkeit auf 3,77 Millionen geschätzt

Die Arbeitslosigkeit werde trotz der ansonsten positiven Aussichten steigen, da die Produktionskapazitäten nach wie vor "unterausgelastet" seien und die Unternehmen keine Reserven mehr hätten, die Belegschaft über die gesamte Krise hinweg zu halten, sagte Brüderle.

Im Jahresdurchschnitt werde es 400.000 Arbeitsplätze weniger geben, die Zahl der Arbeitslosen werde um etwa 320.000 steigen und im Durchschnitt 3,77 Millionen erreichen.

"Mit etwas Glück bleiben wir im Winter unter der Vier-Millionen-Grenze", sagte der FDP-Politiker. Wenn das eintreffe, sei das ein "wichtiges psychologisches Signal."

Schwer seien dagegen die Entwicklungen auf den Finanzmärkten einzuschätzen. "Bei den Banken könnten sich Risikoeinschätzungen als übertrieben erweisen", sagte Brüderle. Damit würden wegen der geringeren Kreditschwelle Investitionsentscheidungen erleichtert, aber "Rückschläge sind nicht ausgeschlossen".

Brüderle bekräftigte im übrigen die Position, dass bei der Einkommensteuer möglichst ab 1. Januar 2011 der "Mittelstandsbauch abgeflacht" und ein Stufentarif eingeführt werde.

"Umfassende Steuerreform möglichst ab 2011"

Der FDP-Politiker pochte zudem auf rasche Entscheidungen über weitere Steuersenkungen, die er allerdings mit einer Forderung nach einer moderaten Lohnpolitik verknüpfte. "Die Talsohle ist überwunden, aber der Aufstieg wird langsam und beschwerlich", erklärte der Wirtschaftsminister.

Umso wichtiger sei es, dass Bürger und Unternehmen "jetzt schnell Klarheit über die Entlastungen bekommen, die ihnen eine umfassende Steuerreform möglichst ab 2011 bringt". Wenn die Tarifparteien ihre maßvolle und flexible Lohnpolitik fortsetzen und Bürger dank weiterer Steuersenkungen mehr Geld in der Tasche haben, sind laut Brüderle die Weichen für einen nachhaltigen Wachstumskurs gestellt.

Die Spitzen von Union und FDP hatten sich nach monatelangem Streit darauf verständigt, nach der Mai-Steuerschätzung Umfang und Fahrplan der weiteren Milliarden-Steuersenkungen zu beschließen. Angestrebt werden Entlastungen von bis zu 19,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Weitere Videos finden Sie hier

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.66676
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/DAPD/dpa/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.