Süddeutsche Zeitung

Apps:Die Überwachung der Überwacher

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Die Behörden nutzen bei den Protesten in den USA auch moderne Hilfsmittel wie Gesichtserkennung und lesen SMS mit. Aber die Protestbewegung weiß sich zu wehren.

Von Max Muth, München

Es war ein Handyvideo, das die aktuelle Protestwelle in US-amerikanischen Städten auslöste. Ohne die mediale Verbreitung des qualvollen Todes von George Floyd gäbe es die Konfrontation zwischen Polizisten und Demonstranten auf den Straßen der USA nicht in dieser Form. Digitale Technologie hat die Proteste also ausgelöst, und Technologie prägt sie weiter - auf beiden Seiten.

Die Polizei in mehreren US-Städten will jetzt einem Bericht der Plattform OneZero zufolge Gesichtserkennung nutzen, um Demonstranten zu identifizieren, die während der Proteste an Zerstörungen oder Plünderungen beteiligt waren. Dass das durchaus erfolgreich sein kann, zeigt die Aufregung über den sehr treffsicheren Gesichtserkennungs-Dienstleister Clearview AI. Die Firma gibt an, ihre künstliche Intelligenz mit mehr als drei Milliarden Fotos trainiert zu haben. Eine im Netz gelandete Liste der Kunden des Unternehmens zeigte vor einigen Monaten: Vor allem Polizeibehörden interessieren sich für die Dienste des Unternehmens. Edward Markey, demokratische Senator von Massachusetts, warnte jetzt in einem offenen Brief an den Chef von Clearview davor, mit der Technologie Demonstranten zu identifizieren.

Um Futter für Gesichtserkennungssysteme gar nicht erst entstehen zu lassen, veröffentlichte der US-Messengerdienst Signal vergangene Woche eine Funktion, die es Nutzern erlaubt, die Gesichter von Mitdemonstranten zu verpixeln, bevor man Fotos von den Demonstrationen verschickt. Die App gilt als eine der am sichersten auf dem Markt, vor allem dank ihrer sehr starken Verschlüsselung.

David Huerta von der US-Bürgerrechtsorganisation "Freedom of the Press Foundation" empfahl verschlüsselte Messenger wie Signal und Whatsapp auch aus anderen Gründen für die Proteste. US-Behörden nutzten Überwachungs-Werkzeuge, mit denen etwa SMS mitgelesen werden können. Das ist bei den durch die Apps verschlüsselten Nachrichten nicht möglich. Sogar wenn Behörden bei den Betreibern per Gerichtsbeschluss die Kommunikation von Demonstranten anfordern, bleibt der Inhalt ihrer so verschickten Nachrichten geheim.

Den Polizeifunk mitzuhören, ist in den USA nicht verboten

Dass auch die Demonstranten für die Proteste aufrüsten, zeigen die App-Charts für Apple- und Android-Telefone. In der Kategorie "News & Magazine", wo sich normalerweise Apps großer Medien wie CNN, New York Times und Fox, oder soziale Medien wie Reddit und Twitter tummeln, steht seit Beginn der Proteste auch eine andere Art Apps ganz oben. Sie heißen "Broadcastify", "Citizen" oder "Police Scanner" und sind im Kern ebenfalls Überwachungstools, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Mit ihnen lassen sich die Überwacher überwachen.

Anders als in Deutschland, wo das unbefugte Abhören des Polizeifunks mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden kann, ist das Mithören von Behördenkommunikation in den USA nicht verboten. Auch dort verschlüsseln manche Polizeibehörden ihre Kommunikation, die meisten verzichten aber aus praktischen Gründen darauf. Das Internet hat den Polizeifunk zusätzlich globalisiert - Apps wie Broadcastify digitalisieren und sammeln den Funk aus Hunderten US-Städten. So können die Bürger in den USA auf ihren Handys in Echtzeit verfolgen, was ihre lokale Polizei bewegt und - gerade ebenfalls sehr wichtig - wohin sie sich bewegt. Es folgt ein Katz-und-Maus-Spiel. Teilnehmer von Protesten können feststellen, wohin die Polizei Verstärkung schickt, welche Straßen gesperrt werden, oder einfach, wo sich eine Demonstration gerade bewegt.

Ein Sonderfall ist dabei die gerade ebenfalls sehr populäre App "Citizen". Sie operiert an der Schnittstelle zwischen Social Media und Polizeifunk. Eine künstliche Intelligenz durchforstet im Auftrag der App-Macher den Polizeifunk von 15 US-Städten. Die Funksprüche werden von der Maschine verschriftlicht und nach Stichworten durchsucht, wie Gründer Andrew Frame vor einiger Zeit dem Magazin Forbes erzählte. Die wichtigsten Ereignisse landen auf dem Schreibtisch eines Mitarbeiters, der eine kurze Meldung verfasst. Nutzer können diese auf einer digitalen Karte einsehen. Tatsächlich nutzen US-Lokalreporter auf der Suche nach Verbrechen die App seit geraumer Zeit, quasi als Vorauswahl, ob es sich lohnt zu Tatorten zu fahren oder nicht.

Eine andere Funktion von "Citizen" ermöglicht es Nutzern, Livevideos von Events in der App zu teilen. Die werden dann von Mitarbeitern überprüft und gegebenenfalls als Report verschickt. Dass "Citizen" von den Machern jetzt als Werkzeug für die Demo-Bewegung "Black Lives Matter" verkauft wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Bei der Gründung 2016 hieß die App noch "Vigilante" und ließ Nutzer selbst Berichte hochladen, wenn sie glaubten, ein Verbrechen beobachtet zu haben. Apple warf die App damals aus dem App-Store, nachdem Bürgerrechtsorganisationen kritisiert hatten, solche "Bürger-Reports" könnten existierende Vorurteile verstärken - unter anderem gegenüber Afroamerikanern.

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SZ vom 10.06.2020
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