Süddeutsche Zeitung

Amazon:Selbst verbockt

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Der Onlinehändler stößt erstmals an seine Wachstumsgrenzen. Mit dem Sommer und weniger Corona-Fällen hat das nichts zu tun. Die Probleme hat sich Amazon selbst eingehandelt.

Von Michael Kläsgen

Wenn ein Unternehmen sowieso in der Dauerkritik steht, kann einem leicht entgehen, wenn wirklich mal etwas Wichtiges passiert. Bei Amazon ist das jetzt so. Noch wird in allerlei Foren eifrig diskutiert, ob der US-Händler nicht der eigentlich Verantwortliche für die Vermüllung der Weltmeere mit Plastik ist (ist er nicht); dabei übersieht man leicht eine neue Meldung von Gewicht: Der Konzern hat erstmals ein echtes Problem - und zwar global, aber eben auch in Deutschland, dem zweitwichtigsten Markt des Konzerns.

Amazon hat es selbst mitgeteilt: Das Wachstum im Onlinehandel wird abflauen. Der Peak im Online-Shopping ist erreicht und der Riese an seine Wachstumsgrenzen gelangt. Das ist alles andere als banal. Es bedeutet, Amazon ist auch nur ein Unternehmen wie jedes andere. Eines, das mit Aufs und Abs zu kämpfen hat und sich nun neue Wachstumsfelder erschließen muss, jenseits des Onlinehandels. Prompt brach der Aktienkurs ein.

Die Nachricht vom Online-Shopping-Peak stellt zudem etliche Prognosen von einem immer gigantischeren Paketaufkommen infrage. Die Nachricht hat das Zeug dazu, die Pläne vieler Firmen, die auf ein weiteres lineares Wachstum im Onlinehandel gesetzt haben, zunichtezumachen.

Die Gründe dafür sind tiefgreifender, als es zunächst den Anschein hat. Sie haben nicht nur damit zu tun, dass gerade Sommer ist, Corona eine Pause eingelegt hat und die Menschen halt lieber mal wieder in der Innenstadt einkaufen als im Internet. Bei Amazon brennt es vielmehr im Moment an vielen Stellen. Der Händler, der die Lieferketten sonst solide im Griff hat, hadert derzeit mit übervollen Lagern. Die sind mehr als ausgelastet, nicht weil Amazon zu wenig verkauft hätte, sondern weil das Unternehmen zu viel Ware bestellt hat.

Manchmal ist der Algorithmus schlicht zu blöd, die einfachsten Dinge zu verstehen

Normalerweise sorgt bei Amazon ein Algorithmus für den Warenfluss. Die Lager sollen niemals leer sein. Diesmal aber hat die Maschine, die sich über Jahre hinweg wunderbar selbst gesteuert hat, versagt. Sie hat das erste Corona-Jahr mit seinen enormen Umsatzzuwächsen wie immer hochgerechnet und hat dabei übersehen, dass die Pandemie einen einmaligen, ungewöhnlichen Ausschlag im Onlinehandel verursacht hat.

Jetzt hat Amazon das Problem, nicht die richtigen Artikel in den dafür vorgesehenen Lagern verfügbar zu haben. Ladenhüter blockieren den Platz für begehrte Artikel. Die Technik hat es vermasselt. Das ist eine weitere, über Amazon hinausreichende wichtige Erkenntnis, die sich aus der Schwäche des Giganten ableiten lässt: Verlass dich niemals nur auf die Technik. Manchmal ist der Algorithmus schlicht zu blöd, die einfachsten Dinge zu verstehen.

Inzwischen versucht der Konzern, Markenhersteller dazu zu bringen, ihre Artikel doch bitte selbst zu verkaufen. Dazu fehlt ihnen aber mitunter die logistische Infrastruktur und das Know-how. Und viele Hersteller sehen natürlich auch keinen Anlass dazu, ihre Ware aus den vollen Lagern abzuverkaufen, einfach nur um Platz für den Handelsriesen zu schaffen - schon gleich gar nicht zu Dumpingpreisen.

Und es gibt schließlich noch das China-Problem. Die Frachtkosten haben sich vervielfacht. Die Hersteller haben daher noch einen gewichtigen Grund weniger, ihre Ware zu verhökern.

Das alles hat weitreichende Folgen: Schon die letzte Rabattschlacht namens Prime Day im Juni war kein Erfolg. Wollte Amazon vor Weihnachten noch einmal eine Rabattschlacht veranstalten - und man darf davon ausgehen, dass der Konzern das angesichts der vollen Lager unbedingt will -, er hätte womöglich diesmal echte Schwierigkeiten, sie zur Zufriedenheit der Verbraucher umzusetzen. Das ist ein gravierendes Problem, und zwar eines, das die Kernkompetenz des Konzerns tangiert.

Wenn es nur das wäre! Aber Amazon kämpft auch mit politischem Druck aus der EU wegen möglicher Lücken beim Datenschutz und der Unwilligkeit, adäquat Steuern zahlen zu wollen, sowie mit der bereits geltenden Pflicht zur Produkthaftung vor allem für Waren aus China. Vom kartellrechtlichen Problem in den USA, Stichwort Zerschlagung, ganz zu schweigen. Die Maschine Amazon stockt gewaltig.

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