Süddeutsche Zeitung

Immobilien:Wer will überm Aldi wohnen?

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Von Benedikt Müller, Düsseldorf, und Michael Kläsgen, Berlin

Sie prägen noch immer das Bild deutscher Städte und Dörfer: Noch vor zehn Jahren setzten Lebensmitteldiscounter wie Aldi oder Lidl beim Bau neuer Märkte auf das Prinzip Flachbau. Sie eröffneten breite, niedrige Märkte, vorzugsweise an den Ausfallstraßen. Die typischen, einstöckigen Filialen mit Satteldach stehen Hundertfach in ganz Deutschland. Doch zumindest in großen Städten geht die Zeit der Flachbauten zu Ende. Wer in diesen Tagen einen neuen Supermarkt eröffnet, plant in den oberen Stockwerken auch Büros oder Wohnungen ein. Dass Discounter gewissermaßen zum Immobilienverwalter werden, liegt im Trend.

Dabei will nun auch die Handelskette Aldi Nord mitmachen. Der Discounter gab am Mittwoch bekannt, in das Geschäft mit der sogenannten Projektentwicklung einzusteigen. Bis 2030 will Aldi mindestens 20 neue Filialen in Berlin errichten, auf oder an denen Wohnungen entstehen sollen. Insgesamt will die Handelskette gut 2000 neue Wohnungen in der Hauptstadt schaffen. Die nötigen Grundstücke gehören Aldi teilweise schon seit Jahrzehnten. Das Unternehmen will die Wohnungen nach eigenen Angaben nicht verkaufen, sondern vermieten.

Mit dem Projekt folgt Aldi seinen Konkurrenten im Handel. Lidl, Rewe, Edeka, ja so gut wie alle große Discounter und Supermärkte vermieten inzwischen Wohnungen. Sie folgen damit den Vorgaben der Städte und Gemeinden. Diese setzen verstärkt auf Verdichtung: Sie wollen, dass freie Flächen möglichst effektiv genutzt werden. Händler bauen deshalb in die Höhe und errichten mehrgeschossige Bauten, in die zwangsläufig viele verschiedene Mieter einziehen.

Die Branche reagiert damit auch auf die hohe Nachfrage nach Wohnungen. Großstädte wie Berlin sind in den vergangenen Jahren um einige Zehntausend Einwohner gewachsen, vor allem, weil junge Menschen für Studium oder Job in die Metropolen ziehen. Hinzu kommt die Zuwanderung aus dem Ausland. Gleichzeitig legen viele Investoren mehr Geld in Immobilien an, weil die Bauzinsen niedrig sind, und festverzinste Anlagen kaum noch Rendite bringen. In der Folge reißen sich Projektentwickler um Baugrundstücke in den großen Städten.

"Die Situation in und um Berlin betrifft uns gleich in zweierlei Hinsicht", sagt Jörg Michalek, Chef der Aldi-Immobilienverwaltung. Die Handelskette wolle zwar in der Hauptstadt expandieren. Es sei aber immer schwieriger, geeignete Standorte für neue Filialen zu finden. Zudem verlangten Eigentümer heute in vielen Ballungszentren deutlich höhere Mieten für Erdgeschoss-Läden. "Natürlich möchten wir an möglichst hochfrequenten Lagen für unsere Kunden da sein", sagt Michalek. "Die Kombination von Aldi-Märkten und angeschlossenem Wohnraum ist deshalb eine konsequente und vor allem zukunftsorientierte Lösung."

Allerdings binden Investitionen wie die von Aldi Nord auch Kapital, das anderswo nicht mehr zur Verfügung steht. Solche Argumente scheinen aber in den Hintergrund zu treten, wenn es darum geht, der Konkurrenz zuvorzukommen. "Teil der Strategie ist es, Standorte zu haben, die sonst an die Wettbewerber gehen", sagt Joachim Stumpf von der Handelsberatung BBE in München. Die Vermietung von Wohnraum hat für Discounter und Supermärkte zudem den Vorteil, nah am Kunden zu sein. Sie ziehen mit den Menschen zurück in die Städte und folgen damit dem Trend hin zur Verstädterung.

Zudem ist es vielerorts günstiger zu kaufen als hohe und steigende Mieten zu zahlen. Daher bauen alle großen Lebensmittelhändler derzeit ihre Immobilienbestände aus. Rewe etwa kaufte Anfang des Jahres sechs Fachmarkt-Zentren in West- und Süddeutschland; an jedem der Standorte ist Rewe selbst der Hauptmieter. Für die Kölner Handelskette sind Objekte mit Wohnraum zwar eine Ausnahme im Bestand. "Grundsätzlich ist es nicht Teil unserer Immobilien-Strategie, Wohnraum zu erwerben", sagt ein Sprecher. Dennoch sei Rewe bei seiner Expansionsstrategie auch offen für komplexere Standorte, die Wohnraum mit einschließen - vor allem in guten Innnenstadtlagen.

Aldi Nord will zunächst zwei Projekte in Neukölln und Lichtenberg umsetzen, wo 200 neue Wohnungen an und auf eigenen Märkten entstehen sollen. An weiteren 15 Standorten in Berlin plane die Handelskette bereits neue Kombinationen aus Filiale und Wohnungen. "Wir möchten aktiv bei der Nachverdichtung Berlins und beim ökologischen Stadtumbau unterstützen", sagt Michalek. Die Kombination aus neuen Wohnungen und Aldi-Märkten schaffe einen "Mehrwert für ganz Berlin".

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