Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:Aldi schließt sich Europäischer Masthuhn-Initiative an

Lesezeit: 4 min

Das Leben eines Masthuhns kann grauenvoll sein. Aldi will nun dazu beitragen, die Haltungsbedingungen zu verbessern. Wiesenhof jedoch, einer der größten Lieferanten des Discounters, soll der Initiative abwartend bis negativ gegenüberstehen.

Von Michael Kläsgen, München

Das kurze Leben von einem Masthuhn kann grauenvoll sein, ehe es in der Kühltruhe eines Händlers landet. Und das kann auch schlimme Folgen für den Menschen haben. Die Umweltorganisation Germanwatch hatte im August und September bei den Discountern Aldi Nord und Lidl in fünf europäischen Ländern Hähnchenfleisch gekauft. Das Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Bochum untersuchte anschließend Proben davon und fand heraus: Mehr als die Hälfte aller Proben waren mit antibiotikaresistenten Keimen verunreinigt.

Wie das ZDF-Magazin "Frontal 21" vergangenen Dienstag berichtete, entdeckten die Mikrobiologen in 25 Prozent der Fleischpackungen in Deutschland und Polen sogar den für Menschen gefährlichen Krankenhauskeim MRSA. MRSA ist den Forschern zufolge ein schwer zu therapierender Keim, der schmerzhafte Gesundheitsprobleme wie Wundinfektionen oder Lungenentzündungen verursachen kann.

Aldi Nord und Aldi Süd beabsichtigen nun, die schlimmste Form der Masthuhnzucht bis 2026 zu beenden. Wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr, will Aldi an diesem Montag als erster großer Lebensmittelhändler in Deutschland bekannt geben, die Europäische Masthuhn-Initiative zu unterstützen, "um die Haltungsbedingungen von Masthühnern deutlich zu verbessern". Die Masthuhn-Initiative wurde von knapp 30 europäischen Tierschutzorganisationen ins Leben gerufen und ist eine Selbstverpflichtung für mehr Tierwohl.

Gegenwärtig ist es laut Tierschützern noch so: Ein Masthuhn teilt sich im Durchschnitt mit 25 anderen Masthühnern einen Platz von einem Quadratmeter. Für Beleuchtung oder Frischluft wird kaum gesorgt. Es werden fast ausschließlich schnell wachsende Rassen gezüchtet. Die Tiere wachsen so schnell, dass ihre Knochen unter dem Gewicht brechen. Während der Mastdauer von durchschnittlich 39 Tagen wird an zehn Tagen ein Antibiotikum verabreicht. Die Tötung erfolgt kopfüber teils im Elektrowasserbad, was Stress für die Tiere bedeutet. Laut Albert-Schweitzer-Stiftung, einem Mitglied der Initiative, stammen fast alle im Handel erhältlichen Hühner aus der Massentierhaltung.

Betäubung vor dem Tod

Die Europäische Masthuhn-Initiative sieht eine verbesserte Haltungsform in einigen Punkten vor. Danach sollen langsamer wachsende Hühnerrassen eingesetzt werden, die etwas mehr Platz zur Verfügung haben, wobei dieser sich nicht nach Anzahl der Tiere bemisst, sondern nach Kilo, nämlich 30 statt 39 Kilo pro Quadratmeter. Die Luft und Beleuchtung sollen Mindeststandards erfüllen. Und die Tiere sollen Sitzstangen erhalten, picken können und vor der Tötung zuverlässiger betäubt werden.

Etwa 350 Unternehmen, darunter Dr. Oetker, Danone, Iglo, Nestlé und Unilever, haben sich der Initiative angeschlossen. Mahi Klosterhalfen, Präsident der Albert-Schweitzer-Stiftung, setzt auf Aldi große Hoffnung: "Die Konkurrenz schaut sehr stark darauf, was Aldi tut", sagt er. "Wenn Aldi jetzt mitmacht, ist das der Durchbruch und das Signal dafür, dass es keinen Weg mehr zurück gibt. Sodass auch Lieferanten wie Wiesenhof mitziehen müssen." Wiesenhof ist einer der größten Lieferanten von Aldi. Tierschützern zufolge soll das Unternehmen der Initiative abwartend bis negativ gegenüberstehen. Auf eine Anfrage antwortete Wiesenhof zunächst nicht.

Laut Aldi wurden mit den Lieferanten seit Beginn der Initiative 2016 Gespräche geführt: "Die Veränderungen, die mit unserem Commitment einhergehen, stellen alle beteiligten Akteure vor eine große Herausforderung, da hiermit eine Reihe von tiefgreifenden Veränderungen angestoßen werden muss." Die Veränderungen betreffen die ganze Lieferkette von den Landwirten bis zu den Schlachtbetrieben. Manche Kriterien erfülle Aldi heute schon, so der Konzern, darunter die CO₂-Betäubung bei der Schlachtung für Frischfleisch oder die Vorgaben zum Stallklima.

Qualzucht vorbei, aber keine artgerechte Haltung

Klosterhalfen hofft, dass Aldis Vorstoß aufgrund der Marktmacht des Unternehmens eine ähnliche Wirkung entfaltet wie vor wenigen Jahren bei der Eier-Kennzeichnung. Aldi sei der erste große Lebensmittelhändler gewesen, der darauf drängte, die schlimmste Form, die Legebatterie, abzuschaffen. Eier aus Käfighaltung seien seither quasi aus dem Handel verschwunden. Klosterhalfen ordnet die erhoffte Wirkung bei den Masthühnern ähnlich ein: "Damit ist nur die Qualzucht beendet, aber noch lange keine artgerechte Haltung erreicht", sagt er.

Aldi geht mit seinem Vorstoß, wenn er tatsächlich wie beabsichtigt bei Frischfleisch und gefrorenen Natur-Hühnerprodukten umgesetzt wird, gleichwohl ein gewisses Risiko ein. Die Preise für Hühnerfleisch könnten bei Aldi steigen und höher als bei der Konkurrenz liegen. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher reagieren auf Preise sehr sensibel. Aldi teilt dazu mit: "Ob und wie stark sich die Umstellung in den Preisen niederschlägt, können wir zum heutigen Zeitpunkt nicht sagen, da der Preis von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird." Die Kunden könnten weiterhin auf "qualitativ hochwertige Produkte zum attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis" vertrauen.

Erik Döbele, Geschäftsführer Zentraleinkauf bei Aldi Süd, räumt allerdings sein: "Wir haben uns diese weitreichende Entscheidung wirklich nicht leichtgemacht, aber es ist das Richtige und wir werden nicht stoppen und weiter Ausschau halten, an welchen Stellen wir unseren Beitrag für mehr Tierwohl leisten können. Hierfür brauchen wir die Unterstützung der Politik und aller Marktbegleiter. Und Landwirte, die mehr Tierwohl umsetzen, müssen für diesen Mehraufwand honoriert werden." Nur wenn alle mit anpackten, so Döbele, könne mehr Tierwohl in der Breite erreicht werden.

Mehr Tierwohl, mehr Menschenwohl

Die Albert-Schweitzer-Stiftung ist bereit, Aldi zu unterstützen, falls der Discounter wegen seines Vorstoßes oder höherer Preise unter Druck geraten sollte: "Wir werden alles tun, dass es nicht so weit kommt", sagt Klosterhalfen. "Wir werden von heute an den restlichen Lebensmitteleinzelhandel mit Telefonaten und Mails bombardieren und eventuell auch mal die Kampagnenkeule schwingen, damit in den nächsten Monaten alle mitmachen." In Frankreich beispielsweise würden schon alle großen Lebensmittelhändler mitziehen.

Ein Problem ist freilich die Kontrolle. Bei Dr. Oetker etwa soll es so sein, dass sich der Lebensmittelhersteller vor zwei Jahren zwar der Initiative anschloss, seither aber nicht sehr viel passiert sein soll. Die Initiative will daher offenbar bei dem Unternehmen im Rahmen eines Audits demnächst einmal nachfassen.

Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ändert sich vor 2026 allerdings erst einmal nichts. "Dass es nicht schneller geht, tut uns Tierschützern in der Seele weh", sagt Klosterhalfen. "Aber wir wollen eine ganze Industrie in Europa umstellen und das dauert einfach ein paar Jahre."

Nach Schätzungen der Europäischen Seuchenschutzbehörde starben 2019 in Europa bis zu 33 000 Menschen durch multiresistente Keime, weit mehr als in den Vorjahren. Selbstverständlich nicht alle durch verseuchte Hühner. Aber je besser es den Masthühnern geht, umso weniger Antibiotika brauchen sie, so die Albert-Schweitzer-Stiftung, und umso geringer die Gefahr für den Menschen. Mehr Tierwohl bedeutet insofern auch mehr Menschenwohl.

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