Süddeutsche Zeitung

Airbnb-Börsengang:Wenn sich das Zocker-Gen meldet

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Der Wert der Airbnb-Aktie hat sich am Tag des Börsengangs verdoppelt. Das erinnert an die Zeit der Tech-Blase vor 20 Jahren - doch es gibt einen wesentlichen Unterschied.

Kommentar von Harald Freiberger

Das sind die Tage, an denen sich auch bei sonst seriösen und vorsichtigen Menschen ganz tief drinnen ein Zocker-Gen meldet. Sie sagen dann Sätze wie diesen zu sich selbst: "Wenn ich da gestern 10 000 Euro angelegt hätte, wären es heute schon 20 000 Euro." Reich werden an nur einem Tag, man muss dafür gar nicht Lotto spielen, es reicht, die Airbnb-Aktie zu zeichnen.

Der Kurs des Appartement-Vermittlers hat sich an der Wall Street gleich am ersten Tag des Börsengangs verdoppelt. Wenige Tage vorher war es beim Essenslieferanten Doordash schon dasselbe. Es herrscht ein Hype an der Börse, der in vielem an die Technologie-Blase um das Jahr 2000 herum erinnert: Die Zahl der Börsengänge ist so hoch wie 20 Jahre lang nicht, vor allem Technologie-Unternehmen wagen den Schritt aufs Parkett, und die Anleger reißen ihnen die Aktien aus den Händen.

Weil man weiß, wie es damals ausging - die Blase platzte -, fragen sich nun viele, ob das gutgehen kann, zumal der Boom in einer traurigen Zeit stattfindet. Die Gesundheitsämter melden Corona-Rekordzahlen, die Börsen melden Kursrekorde. Wohl noch nie in der Geschichte klafften gesellschaftlich-ökonomische Realität und das Geschehen an der Börse so weit auseinander.

Vor 20 Jahren sprach der damalige US-Notenbankchef Alan Greenspan von "irrationaler Übertreibung", und bald darauf bekam er recht. Die Aktienkurse von Technologie-Unternehmen waren maßlos überteuert, sie gründeten allein auf den Zukunftshoffnungen in das damals noch junge Internet. Als sich zeigte, dass sich die Gewinne so bald nicht einstellen werden, stürzten die Kurse ab.

Das Internet ist 20 Jahre älter, die Geschäftsmodelle sind ausgereifter

Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Gegenwart: Das Internet ist 20 Jahre älter, die Geschäftsmodelle der Unternehmen sind ausgereifter, Technologie-Konzerne wie Google, Apple, Amazon und Facebook machen Milliardengewinne. Die Corona-Krise hat der Digitalisierung einen großen Schub gegeben: Onlineversender, Streamingdienste, Cloud-Anbieter, soziale Medien - sie alle profitierten davon, dass das öffentliche Leben teilweise zum Erliegen kam. Vor allem aber zeigte sich, dass die Digitalisierung anhalten wird, auch wenn das Coronavirus nicht mehr das große Thema ist.

Die Technologie-Unternehmen, die schon den Börsenboom der vergangenen zehn Jahre getragen haben, gleichen in der Corona-Krise das aus, was andere Branchen verlieren. Deshalb stehen die Börsen heute auf Rekordhöhe - und weil die Notenbanken die Politik des billigen Geldes auf Jahre festgeschrieben haben und es kaum Alternativen zu Aktien gibt. Das Geschehen an der Börse ist heute weniger irrational als vor 20 Jahren.

Das gilt aber nur für die Börse als Ganzes. Börsengänge wie der von Airbnb und Doordash tragen durchaus Züge des Irrationalen. Professionelle und private Anleger haben sich in einen Kaufrausch hineingesteigert, der durch die wirtschaftliche Situation der beiden Unternehmen nicht gedeckt ist: Airbnb ist ein bewundernswertes Unternehmen, das die Hotelbranche aufgemischt hat, doch noch macht es kaum Gewinn. Auch Doordash muss erst beweisen, ob es mit den Gewinnen der hohen Aktienbewertung hinterherkommt.

Für Anleger, bei denen sich jetzt das Zocker-Gen meldet, bedeutet dies: Auf einzelne Aktien zu setzen, ist wie Lotto spielen. Die Geschäftsmodelle von Unternehmen können schnell scheitern, niemand weiß heute, ob Airbnb und Doordash morgen zu den Gewinnern gehören. Aber es kann nicht schaden, breit gestreut in den Markt zu investieren, also in viele einzelne Aktien, zum Beispiel über Indexfonds (ETF). Denn die Aussichten für die weltweite Wirtschaft, ihre Unternehmen und damit die Aktienkurse sind weniger trüb, als es in diesem Corona-Winter erscheint.

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