Süddeutsche Zeitung

Air Berlin:Für Air-Berlin-Mitarbeiter wird es jetzt richtig bitter

Lesezeit: 3 min

Von Jens Flottau, Cerstin Gammelin, Benedikt Müller und Stephan Radomsky, Berlin/Düsseldorf

"Bei uns geht die Angst um", sagt der Air-Berlin-Pilot, kurz bevor er zu seinem letzten Flug im Dienst der insolventen Airline aufbricht. Sein Dienstplan sei ab November leer, weiter gehe es nur für Kollegen der Stationen Köln, Stuttgart und Hamburg. "Alle anderen, also auch ich, werden wohl freigestellt." Und dann? Keine Ahnung. Der Pilot will seinen Namen bitte nicht in der Zeitung sehen. Aus Angst.

Dass Unternehmen pleitegehen, gehört zum Wirtschaftsleben: Gut 21 500 Insolvenzen gab es allein im vergangenen Jahr, trotz hervorragender Konjunktur. In schlechten Jahren, Anfang der 2000er-Jahre etwa, waren es schon an die 40 000. Was Air Berlin aber heraushebt, ist die Größe: 8000 Mitarbeiter hatte das Unternehmen zuletzt. Vielen droht nun der direkte Weg in die Arbeitslosigkeit, weil die erhoffte große Auffanggesellschaft mit bis zu 4000 Plätzen gescheitert ist. Nun soll es nur eine kleine Lösung für bis zu 1400 Beschäftigte des Bodenpersonals geben, wie die Gewerkschaft Verdi mittelte. Außerdem wollen der Berliner Logistiker Zeitfracht und die Wartungsfirma Nayak die Technik-Tochter von Air Berlin und mit ihr etwa 300 Mitarbeiter übernehmen. Die große Lösung ist das alles aber nicht.

Wie dem anonymen Piloten geht es deshalb immer noch Tausenden Angestellten von Air Berlin. Ob sie demnächst noch Arbeit haben, und wenn ja, für wen, wissen sie nicht. Die Lufthansa will zwar 81 der zuletzt 130 Flieger von Air Berlin übernehmen und im Konzern 3000 Jobs schaffen. Unter den Flugzeugen sind auch 38 Maschinen, die Lufthansa ohnehin bereits samt Besatzung von Air Berlin gemietet hatte und für Eurowings fliegen lässt - so wie diejenige, die der anonyme Pilot noch ein vorerst letztes Mal steuert. Denn auch die müssen vorerst am Boden bleiben, wenn mit Flug AB 6210 am späten Freitagabend der Betrieb von Air Berlin endet. Noch fehlt die Freigabe der Kartellbehörden für den Lufthansa-Deal. Ob der Billigflieger Easyjet oder der Ferienflieger Condor weitere Teile übernehmen, ist unklar.

Insolvenzspezialisten wie der Rechtsanwalt Christoph Niering sind verwundert über die Aufspaltung. Sowohl die Bundesregierung als auch Air Berlin selbst erachteten die Zerschlagung offenbar als alternativlos. Dabei hätten womöglich mehr Jobs erhalten werden können, wenn das Unternehmen als Ganzes saniert worden wäre. Allerdings fehlte dafür auch ein ernst zu nehmender Interessent. Nun aber wolle die Lufthansa Landerechte und einzelne Flugzeuge übernehmen, um einen sogenannten Betriebsübergang der Air-Berlin-Mitarbeiter zu den alten Konditionen zu vermeiden. Die sollten sich stattdessen auf neue, schlechter bezahlte Jobs bewerben. Das sei juristisch fragwürdig, so Niering.

Die Arbeitsagentrur bot kurzfristig eine Jobmesse an

Tatsächlich würden die Air-Berliner im Lufthansa-Konzern weniger verdienen, durchschnittlich acht bis elf Prozent, sagt Lufthansa-Chef Carsten Spohr. 1500 Jobs übernimmt er direkt, 1500 weitere für Flugpersonal sind ausgeschrieben. Spohr wundert sich über die geringe Nachfrage: "Zu unserer großen Überraschung haben sich viele Nicht-Air-Berliner beworben." Ein Grund dafür dürfte sein, dass sich die Air-Berlin-Piloten offenbar zu einem informellen Boykott des alten Rivalen Lufthansa zusammengetan haben. Möglichst wenige sollen sich bewerben, damit dem Konzern das Personal ausgeht. Die Piloten wollen so bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen erreichen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie gemeinsam Druck ausüben: Im September hatten sich zahlreiche Air-Berlin-Piloten offenbar über soziale Netzwerke verabredet und gleichzeitig krankgemeldet. Der anonyme Pilot erzählt jedenfalls, dass es nur kurz Jobausschreibungen für die deutsche Eurowings gegeben habe. Diese aber seien schnell wieder verschwunden, nun sollten sich die Mitarbeiter bei der österreichischen Germanwings-Gesellschaft bewerben. "In meinem Fall hätte ich Gehaltseinbußen von etwa 55 Prozent zu erwarten", sagt er.

Dabei dürften seine Chancen noch vergleichsweise groß sein, woanders einen lukrativen Job zu bekommen. Es gibt vergleichsweise wenige Piloten, die Nachfrage ist hoch. Flugbegleiter, Mechaniker, Bodenpersonal, Bürokräfte haben es dagegen schwer. Für sie hat die Arbeitsagentur in Düsseldorf kurzfristig am Donnerstag eine Jobmesse angesetzt. Einige Hundert Interessenten kommen und prüfen die Offerten von 16 Unternehmen, die dringend Mitarbeiter im Rheinland suchen. Dort arbeiten etwa 2000 Flugbegleiter und 500 Techniker für Air Berlin.

"Die Stimmung ist mies"

Die Angebote aber können meist nicht mit dem mithalten, was die Air-Berliner bisher hatten. Die Thomas Cook Crewing Company beispielsweise sucht zwar Hunderte Flugbegleiter, allerdings nur für die Sommermonate, wenn Touristen in den Süden gebracht werden wollen. 1250 Euro brutto plus Zulagen und Spesen gibt es nur zu dieser Zeit, außerdem ist der Vertrag auf ein bis zwei Jahre befristet und die Berufserfahrung des Bewerbers zählt nichts. Diesen Flugbegleiterinnen droht damit ein finanzieller Abstieg.

Die Atmosphäre auf der Jobmesse ist eigenartig. "Die Stimmung ist sehr mies", erzählt eine Stewardess. An den Ständen lässt sie sich das freilich nicht anmerken, sie ist Profi: lächelt, richtet den Blusenkragen, lässt den Lebenslauf gleich da. Es könnte ja der nächste Arbeitgeber sein, den sie hier kennenlernt. Am Stand von Alltours gibt eine andere Mitarbeiterin zumindest den Lebenslauf ab, den sie am Abend zuvor schnell zusammengestellt hat. Noch arbeitet sie als Ansprechpartnerin für Fluggäste hier in Düsseldorf, der Reiseveranstalter sucht nun Büromitarbeiter mit Erfahrung im Luftverkehr.

"Es ist schön zu sehen, dass Interesse an uns besteht", sagt die Bewerberin. "Aber für mich kommt diese Veranstaltung einen Monat zu früh." Noch sei sie gedanklich woanders: Sie überlegt, ob es nicht doch möglich wäre, Air Berlin zu verklagen.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2017
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