Süddeutsche Zeitung

Air Berlin:Abflug für den Air-Berlin-Chef

Lesezeit: 3 min

Von Jens Flottau, Frankfurt

Am Samstag hat sich Stefan Pichler nach außen hin gut gelaunt ins Flugzeug in seine Wahlheimat Australien gesetzt. Er hatte gerade noch ein Mietgeschäft für 38 Air Berlin-Maschinen unterschrieben, die künftig für den Lufthansa-Konzern fliegen werden, doch nun kann er sich wieder auf seine Hobbys wie Tauchen und Grillen konzentrieren. Ein Rückflugticket braucht er erst einmal nicht: Der Air-Berlin-Chef wird nach nur zwei Jahren abgelöst und zum 1. Februar durch Thomas Winkelmann ersetzt. Der Aufsichtsrat tagte am Sonntag.

Dass Pichlers Zeit in Berlin sich schnell ihrem Ende nähert, wurde seit Monaten kolportiert. Die Aufregung darüber hielt sich aber in engen Grenzen, denn entmachtet war der 59-Jährige spätestens seit Herbst 2015. Er agierte, seit Hauptaktionär Etihad Airways seinen ersten Rettungsplan zerschoss, nur noch als eine von vielen bedauerte Marionette, die aus Gründen der Selbstachtung längst schon von sich aus hätte kündigen müssen.

Dass nun aber ausgerechnet Lufthansa-Manager Winkelmann Nachfolger wird, ist jenseits der eigentlichen Personalie höchst relevant: Die Ernennung des 56-Jährigen bedeutet, dass Etihad das längst gescheiterte Experiment, mit Air Berlin gegen Lufthansa zu fliegen, aufgeben wird. Und Lufthansa will offenbar auch noch die Reste Air Berlins irgendwie unter eigene Kontrolle bringen, um den deutschen Markt möglichst gut für starke Konkurrenten aus dem Ausland wie Easyjet, Ryanair und Norwegian dichtzumachen.

Nach desaströsen und immer größer werdenden Verlusten hat Etihad bei Air Berlin in den vergangenen Monaten durchgegriffen: Eine vermutlich letzte Finanzspritze von 300 Millionen Euro sorgte noch dafür, dass Air Berlin genug Geld für den Winter hat. Doch 35 Flugzeuge gehen nun in ein neues Gemeinschaftsunternehmen von Tui und Etihad, 38 werden an die LH-Töchter Austrian und Eurowings verteilt. Die restlichen gut 70 Maschinen sollten unter der Marke Air Berlin weiterfliegen, sich auf die Standorte Düsseldorf und Berlin konzentrieren und dort europäische Kurzstrecken sowie Langstrecken für Geschäftsreisende mit gehobenen Ansprüchen anbieten - gegen Lufthansa.

Es gab in der Branche praktisch niemanden, der diesen Plan für die Rumpf-Airline nicht für wirtschaftlich komplett unrealistisch gehalten hätte, zumal Air Berlin gerade auch noch der US-Allianzpartner American Airlines abhanden kommt. Insider berichten davon, dass die Annahmen in den Strategiepapieren von hohen Zuwächsen bei den Ticketpreisen ausgingen - Air Berlin wäre praktisch die einzige Airline der Welt, der dies im aktuellen Umfeld gelänge. Doch mit der Ernennung Winkelmanns erscheinen die Pläne plötzlich in einem anderen Licht: Air Berlin wird vermutlich gar nicht mehr lange gegen Lufthansa fliegen; nicht auszuschließen, dass auch die restlichen Maschinen bald die Bemalung der Lufthansa-Billigsparte Eurowings tragen.

Doch einfach wäre die Integration nicht. Hauptproblem: Wie kann Lufthansa eine derart dominante Stellung, bei der die größte deutsche Fluggesellschaft die zweitgrößte de facto kontrolliert, beim Bundeskartellamt durchbringen? Vermutliche Lösung: erst einmal gar nicht. Winkelmann wird bei Air Berlin, wenn nicht alles täuscht, nach außen hin einen eigenständigen Kurs fahren und erklären, warum das Unternehmen auch so für die Kunden attraktiv sein kann. Doch der nächste Winter kommt bestimmt und damit traditionell auch wieder die Zeit, in der Air Berlin frisches Geld braucht.

Bisher stand immer Etihad bereit. Doch die arabische Airline kündigte am Sonntagabend eine "maßvolle Reduzierung der Belegschaft in einigen Teilen des Unternehmens" an. Beim nächsten Mal, wenn AirBerlin Hilfe braucht, könnte sich ja Lufthansa erweichen lassen, wenn im Gegenzug das Kartellamt beide Augen zudrückt. Im Konzern will man schon jetzt ermutigende Signale aus der Politik vernommen haben. Und ob sich die Bundesregierung kurz vor der nächsten Bundestagswahl den Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen ankreiden lassen will, weil sie den geplanten Zusammenschluss verhindert hat?

Die Lufthansa-Strategie ist schon seit Längerem darauf ausgerichtet, den deutschen Markt möglichst dichtzumachen. Gegen die drei großen Airlines vom Golf läuft eine Lobby-Kampagne, in der die angeblichen Staatssubventionen ausgiebig beklagt werden. Die Kampagne wird, nachdem Lufthansa neuerdings mit Etihad Geschäfte macht, vermutlich künftig etwas leiser stattfinden. Der Aufbau der Billigsparte Eurowings ist einerseits Druckmittel gegen die eigenen Piloten, die endlich zu Zugeständnissen bewegt werden sollen. Andererseits dient sie aber vor allem dem Zweck, wichtige Standorte in Deutschland so zu besetzen, dass die großen europäischen Billiganbieter hierzulande möglichst wenig Entfaltungsspielraum haben.

Wie genau die Integration der Rest-Air-Berlin stattfinden könnte, weiß aber in Wirklichkeit noch niemand. Ein weiteres Leasinggeschäft wäre zwar theoretisch denkbar und kartellrechtlich vermutlich leichter vertretbar, würde aber mögliche kurzfristige Engpässe bei Air Berlin nicht beheben. Bei einer tatsächlichen Übernahme wäre es genau umgekehrt. Vor allem aber plagen Air Berlin Schulden von mehr als einer Milliarde Euro. Und Lufthansa wird die Milliarde bei einem Einstieg auf keinen Fall übernehmen wollen, so groß kann die Bedrohung durch Easyjet und Ryanair gar nicht sein. Es muss also bis zum Herbst ein Weg her, wie Air Berlin endgültig in die Familie aufgenommen werden kann, aber ohne die Altlasten.

Die Nachricht, dass nun ausgerechnet Thomas Winkelmann nach Berlin wechselt, hat auch ihren eigenen Charme. Neun Jahre lang stand Winkelmann an der Spitze des ersten Lufthansa-Billigablegers Germanwings. Dort ärgerte er sich oft über die aus seiner Sicht wahnwitzigen Preise und irrationalen Aktionen, mit denen Air Berlin immer wieder einmal den Markt kaputt machte. Nun muss er selbst versuchen, seinen ehemaligen Konkurrenten zu retten. Für ihn ein ungeahnter Schritt, denn Winkelmann war erst vor einem guten Jahr nach München gewechselt und war dort für das zweitgrößte Lufthansa-Drehkreuz verantwortlich. Immerhin spart er sich künftig das ewige Pendeln: Der neue Air Berlin-Chef wohnt nämlich bereits seit vielen Jahren in - Berlin.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2016
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