Süddeutsche Zeitung

Abgasskandal:Trickreiche Hilfe für Martin Winterkorn

Lesezeit: 2 min

Von Klaus Ott, München

Eine Milliarde Euro sind eine Menge Geld. Wer so viel Geld zahlt, kann dafür auch einiges verlangen. Genau das hat Volkswagen bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig getan, bevor die Ermittlungsbehörde in der Abgasaffäre vor wenigen Wochen einen Bußgeldbescheid über eine Milliarde Euro gegen den Autokonzern verhängte. Der Autokonzern wollte erreichen, dass der frühere Vorstandschef Martin Winterkorn von den Strafverfolgern erst einmal milde behandelt wird. Volkswagen versuchte quasi, Winterkorn zu schützen. Wahrscheinlich wollte sich das Unternehmen auf diese Weise vor allem selbst schützen, angesichts weiterer Forderungen in Milliardenhöhe. Die Rechnung ging aber nicht auf, weil die Ermittler nicht mitspielten.

Zwei Vermerke der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 19. April und 4. Mai 2015 über mehrere Verhandlungsrunden mit Konzernvertretern zeigen, wie VW vor dem Bußgeldbescheid mit den Ermittlern gefeilscht hatte. Der Autokonzern bot erst 310 und dann 840 Millionen Euro. Erst nachdem die Ermittler weiter Druck gemacht hatten, erklärte VW-Chefjustitiar Manfred Döss, das Unternehmen sei zur Zahlung von einer Milliarde Euro bereit. Die Strafverfolger hatten von Anfang an angesichts der jahrelangen Abgasmanipulationen von VW eine Geldbuße im Milliardenbereich als angemessen bezeichnet.

VW wollte laut den Vermerken der Staatsanwaltschaft aber nicht nur möglichst billig wegkommen. Sondern auch erreichen, dass der geplante Bußgeldbescheid an die Person von Ex-Chef Winterkorn geknüpft werde. Solch ein Bescheid gegen ein Unternehmen setzt voraus, dass eine konkret benannte Führungskraft ihre Aufsichtspflichten verletzte und es dadurch zu jenen Verstößen kommen konnte, die schließlich geahndet werden. Im einem der Vermerke der Ermittler heißt es: VW habe erklärt, man gehe davon aus, dass dies Winterkorn sein würde.

Die Staatsanwaltschaft entschied sich aber für einen Hauptabteilungsleiter und eben nicht für Winterkorn. Wäre der Ex-Konzernchef im Bußgeldbescheid genannt worden, dann hätte das wie ein Signal gewirkt. Nach dem Motto: Alles nicht so schlimm bei Winterkorn, dieser habe nur fahrlässig gehandelt. Gegen Winterkorn wird aber unter anderem wegen Betrugsverdachts und anderer mutmaßlicher Straftaten ermittelt. Vielen Autokunden seien schmutzige Fahrzeuge als sauber verkauft worden. Winterkorn sagt, die Vorwürfe gegen ihn seien falsch.

Ein Bußgeldbescheid mit Winterkorn als jemandem, der nur fahrlässig agiert habe, wäre nach Einschätzung von Verfahrensbeteiligten eine große Hilfe für Volkswagen gewesen. Zahlreiche Aktionäre behaupten, sie seien vom damaligen Vorstandschef und dessen Kollegen viel zu spät über die Abgasprobleme informiert worden.

Beweismittel noch nicht vollständig ausgewertet

Die Aktionäre klagen beim Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig auf rund neun Milliarden Euro Schadenersatz für Kursverluste ihrer Papiere nach Beginn der Abgasaffäre. Das Verfahren beim OLG beginnt im September, dort wird es auch um Winterkorn gehen. Alles, was dessen Rolle in einem milderen Licht erscheinen ließe, würde VW bei der Abwehr der Schadenersatzklage helfen.

In den Vermerken der Staatsanwaltschaft steht auch, warum diese VW abblitzen ließ. Eine Ahndung einer "nur" fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung von Winterkorn könne derzeit nicht erfolgen. Die Beweismittel seien noch nicht vollständig ausgewertet. Der Verdacht von Straftaten werde weiterhin geprüft. VW wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Vorgang äußern.

Laut Gesetz könnten die Ermittler Winterkorn erst Fahrlässigkeit bescheinigen und ihn später trotzdem anklagen. Das eine schließt das andere nicht aus. Gleichwohl wäre es ein großes Entgegenkommen der Staatsanwälte für VW gewesen, den Bußgeldbescheid an den Ex-Konzernchef zu knüpfen. Winterkorn selbst hätte bestimmt auch nichts dagegen gehabt, wenn bei ihm vorerst nur von Fahrlässigkeit die Rede gewesen wäre.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2018
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